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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1917)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Die Karikatur im Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0079

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zeichner ein leichtfertiger Gesell ist, wenn er ohne zureichenden Grund
verdächtigt, und ein Schurke, wenn er wissentlich verleumdet: daß auch
er für die V o r aus s etzung en seiner Bilder verantwortlich ist, und
um so mehr, je wirksamer sein Stift in die Gehirne der Rnmündigen
einritzt!

Nach meiner Kenntnis trifft ein, was nach den Bilderfälschungen zu
vermuten war: die bewußte Lüge, das bewußte Verleumden ist auch in
der Karikatur unserer Feinde in gleichem Verhältnis wie bei den „Tatsachen-
Dokumenten" häufiger, als bei uns, womit ich keineswegs behaupten will,
bei uns sei in dieser Beziehung alles so, wie zu wünschen. Was der ganzen
großen Masse der Entente-Karikatur das Gemeinsame gibt, das
ist aber doch nicht die Weltlüge, sondern der Weltwahn. Seine eigent-
lichen Orgien feiert er einerseits im pathetischen Haß-, anderseits im
niedrigen Ekel-Bild. Das Haßbild kann, auch wenn es Kunde vom
Wahnsinn gibt (und gerade dann!), ergreifend sein, wo heißes Menschen-
Lrleiden aus brennendem Herzen schreit. Meist ist es nur, besonders in
der englischen Karikatur, wiedergeleierter Cant, Haßgebet aus der Gebet-
mühle, oder gar, wie bei den späteren Bildern Raemaekers, Konjunktur-
Empörung für den Markt. Das eigentliche Ekelbild seinerseits ist uns in
Deutschland fast unbekannt. Ich sah in jungen Iahren in Neapel einen
luetisch kranken Bettler, der Menschen, die ihm nichts gaben, mit Be-
schmutzung aus seiner offnen Wunde bedrohte. Diese grauenvolle Er°
innerung riefen mir einige französische Ekelbilder wach. Bis zu uns,
die es treffen soll, trifft es ja nicht, aber in seiner Nmgebung steckt es an.

Nnd nicht nur dieses Geschwür der Karikatur bringt jetzt im Kriege
Gefahr. Wo die Besonnenheit zum Ausscheiden und Verarbeiten fehlt,
da kann Zerrbilderei zum Rauschgift werden, aufstachelnd gegen den
Feind und verderblich für den Gestachelten zugleich. Wirklich, ich bin
mir auch des Nutzens guter Karikaturen bewußt, vielleicht gibt es nicht
viele, die sich gerade ihrer erfreuen, wie ich. Lin guter Witz kann köst-
licher Befreier von Bedrücktheit sein, er hat auch sonst noch allerhand
Werte an sich, um derenwillen wir die Karikatur auf keinen Fall missen
dürften. Und jetzt brauchen wir sie als Waffe im Kampfe, da sie ungemes-
sen gegen uns gebraucht wird. Ich rate nur, daß wir uns bewußt halten:
Die Wirkung aller befeindenden Karikatur ist heute nach
Breite wie Art etwas ganz„ ganz andres, als im Frieden.
Ich deutete im Beginn darauf: bei Kindern und ganz Primitiven geschieht
es dann und wann, daß sie Vorgänge auf der Bühne für Wirklichkeik
nehmen und dreinrufen. Im Kriegsrausch machen's der Karikatur
gegenüber Millionen so, sonst würde sich dieser Schund nicht verkaufen.
Was sie im Zerrbild sehn, das geschieht für sie. Geschieht für sie auch
dann, wenn es mit jeder Szene anders aussieht; so lange sie's über-
haupt sehen, so lange lebt es eben für sie. So ist das Zerrbild im
Weltkriege zu einem der allerwirksamsten Mittel zur Ausbreitung psychischer
Massenseuchen geworden. Wenn Goethe heute seinen zweiten Faust»
teil schrieb, vielleicht, er ließe den Teusel statt des Papiergelds die
Haß-Karikatur erfinden. A

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