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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

DOI Heft:
Heft 6 (2. Dezemberheft 1917)
DOI Artikel:
Nidden, Ezard: Religiös-philosophische Prosadichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0235

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Daß er im „Märchen von der Hölle" auseinandersetzt, sie sei ein Ort, „und
eben dieser Ort . . . ist identisch nrit seiner Qual". Daß er, abstrakt gesprochen,
vom Dichterischen über das Lehrhafte sogar bis ins Theologische hinüber-
wechsclt. Trostempfängliche werden das nicht nur verzeihen, sondern vielleicht
begrüßen. Denkgewohnte wird es in schweren Zwiespalt versetzen, denn himmel-
weit ist die Einstellung des Lesers auf „Genuß" — womit hier auch der Genuß
an tiefernsten Gesprächen und Symbolen gemeint ist —, verschieden von der
auf theoretische Erörterung. Diese aber fordert Röttger uncrbittlich gerade
vom Ernsten in stetem Wechsel mit jener. Zweifellos übertrifft dieser Dichtcr
auch als Lchrprediger nahezu alle Berufsmäßigen an Tiefe des religiösen
Fühlens und an lebendiger Gewalt. Dem Seelsorger daheim und im Felde
hat er Außerordentliches zu geben, zumal er nicht im Allgemeinen stecken
bleibt, sondern die Lebenskonflikte sehr wirklichkeitmeinend anfaßt. Da ist der
Konflikt zwischen Sohn und Mutter, zwischen Ehemann und Ehefrau, das
Problem des Leides, das der Duldung Gottes gegenüber dem Bösen, nicht
zuletzt aber auch das behandelt, das heute überall auf Erden unter dem Titel
„Krieg und Christentum" die Köpfe bewegt. Röttgers Lösungen sind oft ein-
fach Fortführungen, Deutungen, geradezu Analysen neutestamentlicher Lehren.
Wenn er Eigenes sucht, gerät er gelegentlich, nicht oft, ins Matte; so, wenn er
als stärksten Trost für die Mutter eines gefallenen einzigen Sohnes aus-
spricht: „Meinst du, daß das Geschlecht der Guten und Treucn je oussterben
könnte?" Vom Theologischen kann jedoch hier nicht näher gesprochen werden.

Eine Iesusgestalt beherrscht innerlich auch Rudolf Hans Bartschs
neuesten Roman: „Lukas Rabesam" (Staackmann, Leipzig W7). Dieser ist
freilich bedeutend „leichteres Geschütz". Gewiß predigt auch Lukas Rabesain,
der wundersame Alte, in Graz und München, vor internationaler Anhänger-
schaft oder im Kriegslazarett, ernst und ergreifend. Und ganz gewiß steckt in
dem Dichter der Elisabeth Kött, des Haindl-Vaters, des Weinbauern und des
Herrn Himmelmayer, in diesem überreichen Gefühls- und Phantasiemenschen
Bartsch auch ein echter doino rsllxiosus ohristiunus. Aber in ollewege blcibt
er doch ein ebenso echtes Kind dieser Zeit, die er gelegentlich so heftig wie
erfolglos abzuschütteln trachtet. Den Neligiosus wuchtig, erschütternd,
mit der Härte des in sich vollendeten Predigers herauszustellen, gelingt ihm
nicht. Seine Religion ist letzten Endes ein freies Ehristentum, versetzt mit
etwelcher Naturanbetung, Pantheistik, Einsamkeitsehnsucht. Und neben Herrn
Lukas Nabesam, dem milden, steht, schärser umrissen und voll leidenschaft-
licherer Rede, Herr Ioachim Rabesam, der wilde Pazifist-Fanatiker und Men-
schenvcrächter, dessen ketzerischc Anti-Bergpredigt viele Leser tiefer packen wird
als die sanfte Sprache jcnes. Und neben ihnen — halten wir uns doch
licbcr an den Gestaltenerfinder und Geschehniserzähler Bartsch, als an den
theologisierenden Eklektiker —, neben ihnen blüht das wunderschöne Welt-
kind Verene Magelon, die keusche, süße Birgid Halfström, der kindlich reine
Othmar Kantilener, Chrus Wigram, der kernige Phantast; wer die „Zwölf
aus der Stciermark" liebt, wird bci diesen Namen aufhorchen nnd zugreifen.
Ia, „Lukas Nabesam" ist etwas wie eine Fortsetzung jcnes Romansl Graz
ist noch immcr Bartschs Paradies, die Grazer Berge besingt er noch immer so
tief entzückt und werbekräftig wie ehedem, noch immer strömt er seine Liebe
warm und ungehemmt aus über alle großen Kinder und Weltfremden, noch
immer legt er ein ganzes Menschenherz in Auftritte von süßer Innigkcit,
eine männlich schöne Leidenschaft in Szenen herber Bitterkeit; noch immer
schilt, nein: schimpft er über die moderne Wissenschaft, obwohl sie am Lnde
 
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