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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,1.1917

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Heft 6 (2. Dezemberheft 1917)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14422#0239

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ie Weihnachtsgeschichte erzählt, daß
Maria ihr eben geborenes Kind
in Windeln wickelte — die Mutter
Iesu erscheint in den Evangclien immer
als zugreifend, bestimmend, handelnd
— und in eine Krippe legte; denn
sie hatten sonst kcinen Raum in der
Herberge. Damit beginnt die Tragödie
des Kindes, die sich fortseht als die
Tragödie des Erwachsenen und heute
in der Welt als die Christustragödie
weiter gespielt wird. Für vieles haben
wir Raum, nur gerade für das Wert--
vollste reicht er nicht. Solch eine Per--
sönlichkeit mit „übcrpersönlichem In--
halt" ist allerdings gar nicht bequem.
Man denke sich hcute den Christus
der Evangelicn hinein in ein Magi-
stratskollegium, in dcn Aufsichtsrat
eincr Fabrik, in cin Parlament, in
ein Offizierskorps, in den Lehrkörper
einer Universität, in die Geistlichkeit
an irgcndeiner großen Kirche, und
immer sehen wir sofort, daß das ja
unmöglich gut tun kann. Aber in
der Christnacht hat man noch nicht
wissen können, was einmal aus dem
Kinde werden könnte. Man hat für
das Kind als Kind keinen Raum ge-
habt. Daß das so sein kann, geht mir
gerade in der Weihnachtszeit durch
und durch. So viele Kinder läßt man
gar nicht geboren werden, weil der
Raum in der Familie nicht reicht.
Und für die Geborenen gibt es keinen
Platz in der Mietswohnung. Wir kön-
nen erst dann wieder mit gutem Ge-
wissen Weihnacht feiern, wenn wir
über die Kinder umdenken lernen.
Amos Comenius hat das Informa-
torium der Mutterschule mit einer
Betrachtung eröffnet, daß Kindcr Klein-
odien seien, übcr dcren Gewinnung man
sich freucn müsse, und es getadelt, wenn
Eltern die Geburt eines fünftcn oder
sechsten Kindes bejammern. Aber was
damals die Ausnahme war, ist heute
die Regel. Menschen, die keinen Raum
für die Kinder haben außer sich, haben
erst recht keinen Raum für das Kind,
das sie selber einmal waren und das

doch irgendwie noch in ihncn sein
müßte, es sei denn, sie selber oder
andre hätten es getötet, wie der Vett-
ler in Röttgers Christuslegende meint.
Der geheimnisreiche Zauber des Weih-
nachtsfestes liegt in dem Erwachen der
Erinnerung an das Kind in uns und
der Sehnsucht nach ihm. Darum ist
es so süß und so bitter zuglcich!

eihnachten endigt, wie so oft die
Freudenfeste der Menschheit, mit
Mord und Totschlag. Herodes ist lang
dafür verflucht worden, daß er das
Königskind umbringen wollte, darum
wollen wir nicht auch noch einen Stein
auf den alten Haufen werfen. Es wird
ohnehin durch solche jahrhundertelange
Strafgerichte ein Wall aufgehäuft, hin-
ter dem sich die Menschen verstecken,
die das nämliche nur in andrer Weise
tun. Die bewußten Feinde sind nicht
die schlimmsten. Indem sie totschlagen
und immer aufs neue totschlagen, be-
zeugen sie die Lebenskraft ihres großen
Gegners. Aber daß Menschen mit
ihren Lobreden, mit ihren Phrasen,
mit ihren kraftlosen Versen und saft-
losen Bildern das Heilige morden, das
ist deshalb so empörend, weil sie es
mit der unschuldvollen Miene dessen
tun, der ein gutes Werk glaubt voll-
bracht zu haben. Iesus hat einmal
zu seinen Iüngern gesagt, es werde
eine Zeit kommen, daß, wer sie tötet,
meinen werde, er tue Gott cincn Dienst
daran. Es ist viel schlimmer gekommen.
Es gibt Mcnschen, die ihre Zeit damit
hinbringen, das Gotteskind totzuschlagen,
und sich dabei in dcm Gcdanken sonnen,
daß gerade sie die rechten Iünger scien.

Christian Geyer

Dehmels „Menschenfreunde" und
Götts „Edelwild"

Berliner Theater

icht bloß der Witz, auch der Ber-
liner Spielplan ist ein Priester,
der die sonderbarsten Paare traut.
Heuer brachte er innerhalb vierzehn
Tagen zwei Stücke zusammen, die ihrer
 
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