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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,2.1918

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Heft 11 (1. Märzheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14372#0159

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und Samte und nahm dafür unser
Gold, die Valuta sinkt, aber der Luxus
steigt. Die Verkörperung der Linfach-
heit, die Bluse, die eine Art Wahr-
zeichen der deutschen Hausfrau gewor-
den war, kommt ganz aus der 'Mode,
sie wird bloß ein unbedeutender Teil
eines Straßenkostüms, dem man die
Berechtigung genommen hat, in der
öffentlichkeit selbständig aufzutreten.
Zugleich mit dem Luxus der Ober-
kleidung ist der der Unterkleidung ge-
stiegen. Aus Spitzen und Seide sind
Hemd und Unterbeinkleider, aus Seide
die Unterröcke. Im großen ganzen ist
die Tendenz, die die Mode vor dem
Kriege verfolgt hat, die gleiche geblie-
ben, die Ansprüche sind gestiegen, und
man kann begierig sein, ob sich nach
dieser Nichtung hin im Frieden, wenn
der Rausch vorbei ist, ein Stillstand
bemerkbar macht."

Sind sie in Berlin vernünftiger?

Der Stoff

r saß am Meere und sann. Es
ging um in ihm, er spürte es
seit Tagen. Flut und Ebbe rauschten
durch sein Inneres. Iedesmal, wenn
die Wasser abflossen, beugte er sich
innerlich hinab: „Noch keine Perle
bloßgelegt?" Aber nur feuchter
Sand war da. Der flimmerte und
glänzte und bot nur eine graue
Muschel dar. Er steckte sie in die
Taschs. Ein Kind, das Muscheln
suchte, lief ihm zwischen die Füße.
Er stolperte und schalt. Das Kind
sah ihn erschrocken an. Den Blick
aus den großen Augen schluckte er
mit dem Arger hinunter und ging
weiter.

Da kreuzte ein Bekannter seinen
Weg. „Sie scheinen'was zu suchen?"
„Ich suche einen Stoff." Nun raunte
es durchs Städtchen: „Unser Poet
sucht einen Stoff." Nnd seine Freunde
und Verwandten dachten: „Wenn's
weiter nichts ist — da könnten wir
chm dienen."

Tante Rosa schrieb ihm, sie hätte
einen. Base Kätchen brachte ihn
gleich persöulich. Freund Rechts-
anwalt teilte ihn telephonisch mit.

Sogar von seinem Verleger kam
ein Brief: „Sie suchen einen Stoff.
Ich habe einen. In jungen Iahren
fand ich ihn bei einem Römerdichter
leise angedeutet. Er hat mich über-
wältigt. Hören Sie . . . . Liegt darin
nicht ein ungeheurer Wurf? Ich bin
leider nicht dazugekommen, ihn selbst
zu tun. Aber ich bin bereit, Ihnen
den Stoff zu folgenden Bedingungen
zu überlassen:. . . . Hochachtungsvoll
A. P." Das Gerücht von seiner Suche
nach einem Stoff zog seine Kreise
weiter. Wildfremde Menschen schrie-
ben ihm. Unbekannte legten ihm an
der Straßenecke ihre Stoffhand auf
die Schulter: „He, guter Mann, Sie
brauchen einen Stoff — wir haben
einen Rest auf Lager — Gelegen-
heitssache, lieber Mann — greifen
Sie zu. . ." Iede Post brachte ihm
eine neue bemusterte Stoffofferte,
freibleibend, gratis und franko, auf
umgehende Drahtzusage, verwertbar
per komptant, netto Kassa ohne Ab-
zug. Immer neue Stoffe brachte man
ihm ins Haus. Nnd mit Schneider-
gebärden faltete man sie auseinan-
der: „Ist das nicht ein feines Stöff-
chen? Ganz modern! Das Letzte, was
man trägt! Ob du daraus nicht
ein Meisterwerk machst?" Einen
Stoff nach dem andern nahm der
Poet in die hände. Aber es blieb
ihm nichts darinnen. Der eine war
verschlissen, der andre war zerrissen,
der dritte war so leicht, daß er vom
Atem in den Papierkorb flog.

Der Dichter versank in lauter
fremden Stoffen. Nein, dieser Stoff»
reichtum aller Leute um ihn! Aber
der Roman kam nicht weiter. Woran
lag das nur?

Da floh der Dichter weg ins
Gebirge. In der Felseneinsamkeit
überfiel ihn eine Meererinnerung:
Stoffsuchend suchte er den verebbten
Strand ab — im Sand eine graue
Muschel, die er, ohne daß er's wußte,
in die Tasche schob — Enttäuschung
— Weitersuchen — ein Kind verfing

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