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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 13 (1. Aprilheft 1918)
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Düsel, Friedrich: Reinhard Goerings "Seeschlacht"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0023

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in den sicheren Tod fahren und dabei alle Hüllen pathetischer Erhabenheit
nnd heroischer Äberliefernng abwerfen, bis sie in nackter Menschlichkeit vor
nns stehen — niemand brauchte da vor seinem liberalen Kunstgewissen zu
erröten, wenn er sich fragte, ob eine solche Dichtung, mochte sie knnstlerisch
noch so bedeutend sein, nicht einstweilen lieber auf das Buch (Berlin, S.
Fischer) beschränkt bleibe. Selbst den bekannten und beliebten Ausweg in
solchen Zweifeln, die Aufführung mit Ausschluß der breiten öffentlichkeit vor
einem engeren geschlossenen Kreise zu veranstalten — heiße er nun „Lite-
rarische Gesellschaft", wie in Dresden, oder „Innges Deutschland" wie in
Berlin —, brauchte man diesmal nicht gleich als sanftes Ruhekissen für alle
Bedenken gelten zn lassen, auch wenn man von den Schlupftürchen, die ein
solcher Ring zu haben Pflegt, absieht. Mir wenigstens will der Grundsatz
einer geistesaristokratischen Auslese in solchem Falle überhaupt höchst an--
fechtbar erscheinen: verleugnet man damit nicht gerade die liberale Welt-
anschauung, die in Kunstdingen herrschen soll, entzieht man das Werk bes
Dichters dadurch nicht dem Forum, zu dem jede lebendige Kunst, vornehmlich
aber die des Dramas, hinstreben muß, auf dem allein es das letzte ent-<
scheidende Ia oder Nein hören kann? Ich will ganz offen sein: Hätte man,

allein nach der Kenntnis des Buches, von dieser oder jener Seite mcin Gut--

achten eingefordert, ich würde in der tröstlichen Gewißheit, daß dieses Werk
auch nach Kriegsbeendigung noch seine unverkümmerte Wirkung tun werde,
meine ernsten Bedenken gegen die sofortige Aufführung der „Seeschlacht"
nicht unterdrückt haben. Doch Theorie hin, Theorie her! Das Stück ist,

erst in Dresden, dann in Berlin, zur Aufführung gelangt, und damit zeigt

uns die ganze Angelegenheit ein völlig verändertes Gesicht.

Wenn irgendeines, so ist dieses Werk ein Beweis dafür, daß eine dra-
matische Dichtung erst von der Bühne die Offenbarung ihres Wesens, den
Stempel innerer Wahrheit empfängt. Wohl, die sieben Todgeweihten, die
da im Tosen und Brüllen der Skagerrak-Schlacht ihre letzten Stunden
durchkämpfen, sie lassen uns auch im Buche schon, wenn auch bei der
stilisierten, spröden und strengen, rhythmisch vielleicht allzu gleichmäßig ge-
hobenen Sprache nur langsam, die verschiedenen Temperamente ihres Blutes,
die verschiedenen Kurven ihres Schicksals erkennen. Wir unterscheiden den
Gelassenen von dem Lodernden, den Lebens- und Tatenfrohen von dem kühl
Sachlichen; wir fühlen, wie sich von diesen im bewußten oder unbewußten
Einklang mit ihrem soldatischen Beruf Stehenden zwei andre absondern, die
von geheimen Mächten ihres Innern aufgestachelt werden, der eine von
überirdischen, teils schreckhaften, teils lockenden Gesichten „aus mcilenlosen
öändern", für die er bei den andern nur ein Lachen oder ein nachsichtiges
Gewährenlassen findet, der zweite, ganz auf sich selbst gestellt, von der
bohrenden Erkenntnis, daß auf dieser Erde erst noch so viel Schönes, Tiefes
und Großes entdeckt und erfüllt sein müßte von den „Dingen zwischen Mensch
und Mensch", heiligere Pflicht als jeder andre Kampf, bevor die Menschen
ans gegenseitige Vernichten dcnken dürften. Wir erleben mit, wie auch sie
beide dann in den Sturm der männermordenden Schlacht gezogen werden,
wie vollends in dem zweiten, der wohl einen Augenblick gar ans Meutern
dachte, der todesmutige Wille des Kampfes und Sieges entfacht wird, so
daß er bis zuletzt als der Aufrechteste und Entschlossenste am Geschützrohr
steht — aber das eigcntliche innere Drama, das sich in diesen Männerseelen
abspielt, bei den Geraden irnd Ängebrochenen sowohl, deren Lebens- und
Tatenwille eingepreßt wird in den stählernen Panzer der Pflicht, als auch bei
den Empfindlichen und Anfgewühlten, dencn das Schicksal eine Erfüllung
ihrer Lräume verweigert, um sie doch in ihrer letzten Stunde mit höchstem
Kraft- und Lustgcfühl eines zweck- und wertvollcn Daseins zu erfüllen,
dicser innerste Ncrv der Dichtung, die keineswegs zur Lyrik, sondern znr
stärksten Dramatik zählt, wird erst durch die Aufführung erlöst. Und da

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