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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI issue:
Heft 15 (1. Maiheft 1918)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Vom Zeitunglesen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0072

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Vom Zeitunglesen

ist für die Leser, die mehr als Familien- und Geschäfts-Nach-
V Mrichten beachten, der Zweck der Ieitung? Fch glanbe: zuerst einmal
die Verbreiterung und Ausgcstaltung ihres Weltbildes. Dabei
ist zweierlei zu beachten. Erstens, daß dieses Weltbild in vielen erst dnrch
das Zeitunglesen entsteht — oder sollte man mit diesem großen Worte schon
die Brnchstücke von Bruchstücken des „Weltbildes" bezeichnen dürfen, welche die
meisten zu ihrem ersten regelmäßigen Zeitunglesen schon mitbringen? Viel
wichtiger ist das zweite: Das Weltbild, welches die Zeitung darbietet, besteht
aus sehr viel Mitteilungen über die „W elt in Bewegun g", aus sehr
wenigen über die „W e lt in R uh e". Viel mehr berichtet die Zeituug vou
neuen Ereignissen als von alten, viel mehr von Ereignissen als von Zu-
ständen, viel mehr von Plänen und von kommenden Dingen als von Ab-
geschlossenem, viel mehr von der Gegenwart als von der Vergangenheit.
Stellt man neben diese Obersätze einige Autersätze, so ergeben sich mannig-
fache Schlüsse. Man bedenke etwa, daß die Bewegungen der Welt anfs stärkste
abhängig sind von den voraufgegangenen Ruhezuständen — vielleicht sollte
ich von „relativen Ruhezuständen" oder gar von voraufgegangenen Bewe-
gungen geringerer Intensität, aber großen Amfangs sprechen, da es ja einen
wirklichen Ruhezustand nicht gibt. Eine Revolution z. B. betrachten wir
nicht nur als „abhängig" von den sozialen nnd politischen Zuständen eines
Landes, sondern sogar als deren „Folge"; die Ehrung eines Mannes nach
seinem Tode hängt ab von der Bedeutung seines Lebens, die Wichtigkeit einer
Heilmittel-Erfindung von der Ausbreitung dcr betreffenden Krankheit. Wer
daher eine Zeitnng wirklich liest, um sein Weltbild auszugestalten, müß schon
eins habcn, oder: er muß sich begnügen, dnrch Zeitunglesen weitere Bruch-
stücke zu seinen mitgcbrachten zu fügen. Bruchstücke, die er nicht selbst durch
Aufsuchen auswählt, sondern die ihm vorgewählt aufgedrängt werden. Das
bestätigen ja die Zeitungen selbst; sobald etwas Wichtiges geschieht, bemühen
sie sich, zumeist „unterm Strich", däs Weltbild ihrer Leser nach rückwärts
zu ergänzen. Da erscheinen etwa in Revolutionzeiten zwei oder drei Auf-
sätze über die sozialen Zustände des betreffenden Landes; es erscheint über
einen ehrwürdigen Toten ein „Nekrolog", auch wcnn die Zeitung während
seines Lebens ihn vernachlässigt hat, und über eine Krankheit kommt ein
Auszug aus der Gesundheitstatistik. Niemals aber ersetzt eine Zeitung ein

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U Maiheft td,8 (XXXI, ,5>
 
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