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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 13 (1. Aprilheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0027

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daß, nach den Erlebnissen dieser Iahre,
so ziemlich jeder befähigt sein dürfte,
sich nimmer als bevorzugten Gast in
der Schöpfung zu betrachten, dessen
Aufgabe es ist, sich möglichst viel Ge-
nießbares aus ihr anzueignen und
darüber Herrschaft und Macht zu
üben —, sondern als Mitgeschöpf mit
den andern, nnd also als auch nur
ein Teil des Ganzen, und im Sinne
des Ganzen, zu leben. Auch glaube
ich, daß es fast jeder nun langsam
zustandebringen könnte, von allem
einzelnen, was ihm im Leben unter-
kommt, den Weg zum Allgemeinen
emporzusteigen und so die verdammt«
Beschränkung auf Ich und Besitz und
Schein zu verlieren, dafür aber die
ganze Welt zur Heimat zu gewinnen.
Wie es dann, wenn das allgemein
und freudig geschähe, noch recht viel«
Menschen geben könnte, die die Welt
verneinen, oder solche, die sie in den
paar Fetzen lieben, die sie ihr abge-
rissen haben, sehe ich nicht ein. Ich
glaube vielmehr, es müßte eine Rn°
zahl von Glücklichen, weil ganz nnd
gar Freien, entstehen, die gerade des-
halb die Welt hell nnd warm lieben
können, weil sie von ihr unabhängig
wurden.

Weiters stelle ich mir vor, daß
wir uns selber mehr lieben werden
als bisher. Nicht erschrecken, bitte!
Ich meine natürlich nicht ein Noch-
mehr von jenem Egoismus, den wir
uns so hahnebüchen geleistet, den uns
das Innere aber niemals erlaubt hatte.
Hingegen meine ich freilich, daß wir
jenem andern Egoismus langsam zu
fröhnen beginnen dürften, zu dem uns
das Innere geradezu verpflichtet und
der darin besteht: sich selber mit allen
nur möglichen Mitteln zum Menschen
zu machen, der nichts tut, was dem
Entwicklungssinn dcr Schöpfung zu-
wider ist, alles aber, was diesen Sinn
vermehrt. Dadurch bekäme das Leben
jedes Menschen die Weihe einer Sen-
dung, und die Liebe zwischen den Ge-
schlechtern eine richtigere Grundlage.
Wer nämlich daraufkommt, daß er an
sich selbst den höchsten inneren An-
spruch stellen muß, um ein rechter
Mensch zu werden, und die Berech-
tigung zu diesem Anspruch aus den
guten Anlagen seiner eigenen Natur

ableitet, der wird auch den Mut auf-
bringen, vom Menschen, dem er sich
vermählen will, nicht weniger zu ver-
langen. Bis heute war die Liebe zwi-
schen den Geschlechtern außerhalb der
Ehe sehr oft eine Sache des spielen-
den Zufalls oder vergnüglichen oder
pshchologischen Spiels, und in der Ehe
ein Bandwurm von wenig schönen
Kompromissen. Der Grund dafür lag
keineswegs darin, daß es für die Män-
ner nicht die Frauen und für die
Frauen nicht die Männer gibt, mit
denen verbunden sie die Lebensgemein»
schaft zum dauernden Herzensglück —
und das ist: zur ganzen Erfüllung
ihrer Naturen zu machen vermöchten,
— nein! Aber darin, daß man die
Wahl des Gefährten oft nicht viel
«rnster nahm als die eines Sommer-
aufenthaltes; oder daß man vielleicht
noch das „Wilieu" — Vermögen und
Familie — der Wahl unterzog, nicht
aber die ungeschminkte, ungestellte,
nackte Natur des Menschen, dem man
sich verband. And diese Wahl konnte
man kaum «rnster nehmen in einer
Ieit, in der die Rücksichten auf äußere
Lebensführung den Mnt zur inneren
Durchsetzung so barbarisch konventionell
ertötet hatten! Ietzt aber, nach den
Erlebnissen dieser Iahre, hat man
scheinbar entdeckt, daß es notwendig
ist, seine eigne Natur unerbittlich ge-
nau erlauscht zu haben, bevor man
die zweite ihr angesellt, und daß es
für Menschen, deren schonungslos er-
forschte Naturen nacheinander rufen,
nicht nur ein Recht, sondern auch
Pflicht ist, sich zur gemeinsamen in-
nern Erhöhung des Lebens zu vereinen.
Dringt diese Erkenntnis durch, dann
wird uns nichts weniger geschenkt wer-
den als die Wahrhaftigkeit der Liebe
zwischen den Geschlechtern, — und das
wieder gäbe, endlich, die Ehe, die nicht
nur glücklich ist, sondern auch frucht-
bar im richtigsten Sinne des Wortes:
an Kindern, die „in der Wahl ihrer
Eltern vorsichtig waren", und an
Liebestat um und um.

Eirdlich stelle ich mir vor: wir
werden auch unsern Nächsten mchr
lieben als bisher. Mit dieser Liebe
sah es bisher — soviel wenigstens
ich bemerken konnte — flau genug
aus! Das kam nicht nur von jencm

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