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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
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Corbach, Otto: Die Zukunft des Parlamentarismus, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0053

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„LaDLpeche de Toulouse" her. Um dieselbe Zeit erklärte Georges Clemenceau
auf einer Rundreise durch Südamerika in Buenos Aires das Parlament für
»jämmerlich organisiert". Es sei noch die Steinzeit der Erörterung össent--
licher Angelegenheiten. Alles sei darauf eingerichtet, nichts sertig zu
bringen. Es übe nicht Kritik an den Einrichtungen, sondern an den
Männern. Die Parlamentarier sührten sich wie Kinder auf, denen
man eine Uhr in die Hand gibt, und die mit Hammerschlägen nach der
Zeit sehen. Ein großes Äbel des Parlaments sei die Leidenschaft sür
die Rethorik, die theatralische Seite der Erörterung. Und doch wollten
alle Völker, die noch kein Parlament haben, eins besitzen, während die,
die es haben, sich fragen, ob man nicht zn einer andern Sache übergehen
könnte.

Solche Anßerungen gegenüber dem westenropäischen Parlamentaris-
mus werden heute in Deutschland vielsach angesührt. Auf der andern
Seite aber gehört eine parlamentarische Regiernng bei uns zu den
„kommenden Dingen", und es ist nur eine allgemein menschliche Ligen--
schaft, vor kommenden Dingen, an denen niemand zweifelt, einige Ehr--
furcht zu haben. Man würde ja an seinem Dasein verzweifeln, wenn man
das Künftige für nichtig hielte. Der Mensch behält ans der Vergangen--
heit vor allem das, was ihm angenehm war, und er erwartet von der
Zukunft vor allem Angenehmes. Was von der Zukunft überhaupt gilt,
braucht freilich nicht auch von der nächsten Zukunft zu gelten, wenn man
über diese hinauszublicken vermag. Dem Weitblickenden können vor den
Dingen einer ferneren Zukunst die der nächsten verblassen, zumal dann,
wenn sich ihm in der ferneren Zukunft die Aussicht auf grundsätzlich
Neues eröffnet. Bei uns hatten bisher Politiksr mit kurzem Blick das
große Wort. Das ganze Verhalten des deutschen Volkes und seiner her--
kömmlichen Führung während des gegenwärtigen Krieges ist ein ein--
ziger Beweis dafür, daß es für eine weitausholende, nach fernen Zielen
strebende Politik erst erzogen werden mußte. Es scheint freilich, als
müßte erst ein neues politisches Geschlecht heraufkommen, um das deutsche
Volk im neuen weltpolitischen Zeitalter zu lenken.

G

Der Parlamentarismus ist erst eine Aufgabe; die vorhandeuen Parla--
mente sind mehr oder weniger kümmerliche Versuche, sie zu lösen. Man
höre auf der Iournalistentribüne eines modernen Parlaments herum;
man wird von denen, die dort seit vielen Iahren berufsmäßig parla--
mentarisches Leben beobachteten, wenig Günstiges über den Parlamenta--
rismus, wie er ist, hören. Der Wille des Zeitungsgeschäftes bringt es
mit sich, daß den breiten Massen der Glaube erhalten werden soll, in
jeder parlamentarischen Sitzung würde über schicksalsschwere Fragen be--
raten und entschieden. Dem Zeitungsleser werden neben ausführlichen
Berichten „Stimmungsbilder" vorgeführt, die in der Iugendzeit eines
Parlaments, wo noch jede Sitzung bewegt und dramatisch zu verlaufen
pflegte, an der Ordnung sein mochten, nachgerade in der Regel aber
nur dazu dienen, der Außenwelt Stimmungen vorzutäuschen, die der
Ärheber in die Verhandlung meist hineindichtet, selten aus ihr entnom--
men hat, und überdies dazu, den Leser schon im vorhinein parteipolitisch
zu bearbeiten. In Wirklichkeit gibt es nichts Stimmungsloseres als eine
gewöhnliche Parlamentssitzung, und wer ihr unbefangen beiwohnt, kommt

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