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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
DOI Artikel:
Corbach, Otto: Die Zukunft des Parlamentarismus, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0055

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Das gleiche, allgemeine Wahlrecht schließt das Frauenstimmrecht ein.
Für Frauen, die außer dem Hause auf Arbeit gehen, sollte sich die Stimm-
berechtigung bei Wahlen zu gesetzgebenden Körperschaften schon heute
von selbst verstehen. Die jämmerliche Unzulänglichkeit aller von Männern
gemachten sozialen Gesetzgebung für den Schutz erwerbstätiger Frauen
beweist schlagend, wie ungerecht es ist, diesen das Stimmrecht zu ver-
sagen. Nun haben aber die Erfahrungen dieses Krieges auch gelehrt,
wie ungeheuer wichtig die öffentliche Bedeutung der Wirksamkeit der
Hausfrauen ist. Man erwäge, wieviel besser es jetzt um unsere Er--
nährungsverhältnisse bestellt sein könnte, wenn die Volksvertreter von
den Hausfrauen mit gewählt worden wären, und sich deshalb genötigt
gesehen hätten, auf deren Aufgaben und Sorgen gebührende Rücksicht
zu nehmen. Ein Stimmrecht der Hausfrauen würde den Linfluß der
Familie im politischen Leben verdoppeln. Daß das aufs innigste zu
wünschen wäre, ist auch die Ansicht der Verteidiger eines Mehr-
stimmenrechts, die dem Familienvater zwei oder mehr Stimmen zu-
erteilen wollen. Daß aber dem Wohl der Familie viel besser gedient
ist, wenn Mann und Frau je eine Stimme haben, als wenn der Mann
zwei Stimmen abgeben darf, die Frau dagegen keine, leuchtet ohne wei-
teres ein. Es bliebe zu erwägen, ob auch müßiggehende Damen stimm-
berechtigt sein sollten. Sie könnten das wohl ebensogut beanspruchen, wie
müßiggehende Herren, aber deren Zahl ist gering und verringert sich fort-
gesetzt; darüber zu streiten, verlohnt sich nicht.

G

Schwerer als die Forderung uach der Allgemeinheit und Gleichheit
eines Wahlrechts läßt sich die nach seiner Heimlichkeit rechtfertigen. In
einem wirklichen Rechtsstaate könute es überhaupt keinem Zweifel unter-
liegen, daß jeder Bürger frei und offen bekeuuen sollte, für wen er bei
einer Wahl stimmen will. Die geheime Stimmabgabe begünstigt po°
litische Unehrlichkeit; sie macht es möglich, daß sich jeder öffentlich für
etwas politisch anderes ausgibt, als was er ist. Das politische Ver-
antwortungsgefühl wird dadurch unterwühlt. Mancher gibt bei der
Wahl allerhand niedrigen Instinkten nach, weil er sein Gewissen damit
beschwichtigen kann, daß er im alltäglichen Leben doch nicht dasür ein-
zustehen brauche. Leider gibt es für die Heimlichkeit der Wahlen unter
den obwaltenden Nmständen eine zureichende Entschuldigung. Sitte,
Recht und Gesetz schützen den Wähler unzulänglich gegen die Rache
politisch anders Gesinnter, von denen er wirtschaftlich abhängt. Die
Heimlichkeit der Wahlhandlung ist ein Ersatzmittel für die Rechtssicher-
heit des wirtschaftlich Schwachen gegenüber dem wirtschaftlich Starken,
an der es im überlieferten Staatswesen mangelt. Sie bedeutet daher ein
notwendiges Abel, wie die geheime Feme ein notwendiges Abel be-
deutete, als das öffentliche Recht ein „Faustrecht" war. Iu dem Maße,
wie sich der Gewaltstaat der Vergangenheit und Gegenwart in den
Rechtsstaat der Zukunft verwandelt, verliert jede Geheimhaltung der
Stimmabgabe bei Wahlen ihre innere Berechtigung. Otto Lorbach

(Schluß folgt)
 
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