Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1918)
DOI Artikel:
Kranold, Hermann: Zum Geburtenrückgang: (Gefahren der Statistik)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0060

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Man könnte nun sagen, solche Fehler glichen sich von der einen und der
anderen Seite aus — und man könne sie deshalb gemeinhin vernachlässigen.
Dem ist aber nicht so. Denn selbst wenn man zufällig wieder auf den
primitiven Grundlagen auf gleiche Zahlen käme — die Lrkenntnisse, die aus
solchen Unterscheidungen entspringen, blieben ungehoben, und der Leser
glitte über Abgründe hinweg, ohne es zu ahnen. Deshalb können allein
solche »korrigierten" Zahlen, deren Berechnung und Beschreibung zwar
sehr umständlich, aber sehr wohl möglich ist, Nichtfachleuten mit Nutzen
vorgetragen werden; auch sie aber gestatten ein annähernd zutreffendes
Nrteil nur dann, wenn gleichzeitig der Geburtenüberschuß, die Sterb-
lichkeit im allgemeinen und im ersten Lebensjahre, die absolute Zunahme
der Volkszahl und zahlreiche andere Merkziffern mit angegeben werden.

Aber noch ein weiterer methodischer Fehler steckt in dem als Beispiel
gewählten Satze. Dort wird die Zahl 28,2 für Sachsen im Iahre lysO
ohne weiteres, wie wenn sie vergleichbar wäre, neben die Zahl für das
Deutsche Reich im Iahre s876 gesetzt. Dadurch wird gar zu leicht der
Anschein erweckt, als sage die bloße Zahl 28,2 schon etwas aus. Sie
sagt aber gar nichts aus, weder in Verbindung mit der Tatsache, daß
im Deutschen Reiche s876 die Zahl ^2,6 bestand, noch für sich allein
genommen. Bei 28,2 Geburten auf sOOO Einwohner kann ein Land gedeihen.
Und ebenso kann die Zahl 30,7 für das Deutsche Reich im Iahre WO
an sich nicht als zu niedrig bezeichnet werden. Darin liegt ja auch
gar nicht für Deutschland die Gefahr des Geburtenrück-
gangs, daß etwa jetzt schon zu wenig Kinder geboren
würden. Sondern das Böse liegt darin, daß, wie wir aus
internationalen Vergleichen und dem Ablauf der Erscheinung von Iahr
zu Iahr bei uns wohl schließen müssen, der Rückgang, der jetzt
noch nicht bedrohlich groß ist, unaufhaltsam und stetig beschleu--
nigt fortzuschreiten droht. Deshalb muß man nicht nur exaktere
Zahlen vorführen, sondern vor allem Zahlenreihen für eine ganze
Reihe von Iahren, die die gefährliche Tendenz einigermaßen
erkennen lassen. Nur wenn man so verfährt, leistet die Statistik, was
sie leisten soll: eine Verdeutlichung.

Warum darf ich mit Recht die falsche Einschätzung, deren die Statistik
gewärtig sein muß, wenn das Publikum durch solche technischen Unzu-
länglichkeiten dauernd in seinem Urteile sich irregeleitet sieht, für eine
ernsthafte Gefahr ansehen?

Zunächst im Interesse der Statistik selbst. Denn wir bedürfen zur
weiteren Durcharbeitung unserer Sozialpolitik, vor allem unserer Gesund -
heitspo litik, in der Zukunft ganz anders ausgedehnter Statistiken,
als sie uns jetzt zu Gebote stehen. Man denke nur an die Aufgaben,
die uns die aufkommende Lehre von der Vererblichkeit minderwertiger
Veranlagungen stellt. Zur Lösung dieser Aufgaben werden wir einer
umfangreichen, eingehenden und mühevollen Stammbaumstatistik bedürfen.
Diese kann aber nur zustande kommen, wenn die große Masse der Ge-
bildeten einen Teil der Arbeit, nämlich die Aufschreibung der Stamm-
bäume, übernimmt. Wie man dazu gelangen kann, wenn es nicht gelingt,
die leider sehr begreifliche, aber unberechtigte Mißachtung des Publikums
für die Statistik zu beseitigen, ist mir unerfindlich.

Aber darüber hinaus und nicht nur vom Standpunkt des um die
Zukunft eines Faches Besorgten muß man zu der Meinung kommen, daß

39
 
Annotationen