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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1918)
DOI Artikel:
Gurlitt, Cornelius: Der Geist Frankreichs vor dem Kriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0112

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Rolland schildert einen deutschen Musiker, eine Art Mischung von Beethoven,
Wagner und Nietzsche, den er zumeist in Paris leben läßt, einen großen Künst-
ler, tief angelegten Mann von stürmischer Leidenschaft und unversiegbarem Ar»
beitseifer, dem er die französische Hauptstadt in ihren großen und ihren
schwachen Eigenschaften gegenübertreten läßt. Seine Absicht ist, die Franzosen
an deutschem Wesen zu schildern, nicht indem er die Fehler unseres Volkes
verschweigt oder auch nur verkleinert, wohl aber, indem er die der eigenen
Nation an ihnen mißt. Das Buch hat das ernsteste Bestreben, gerecht zu scin, den
Helden des Buches, eben jenen deutschen Musiker, mit herzlicher Anteilnahme ehr-
lich vor uns leben, wirken und streben zu lassen und ihm sranzösische Frennde und
Feinde zur Seite zu stellen, die nicht minder ehrlich geschildert sind. Der große
geschichtliche Zug äußert sich aber in dem Bestreben, die Entwicklung des fran-
zösischen Geistes in den letzten Iahrzehnten darzustellen, bis an den Weltkrieg
heran, kurz vor dem das Buch an die üffentlichkeit gelangte. Wir sehen die
Folgen des Krieges von >870/71 auf die Haltung der Franzosen, die reifende
Macht des sozialistischen Geistes und aus diesem herauswachsend die steigende
kriegerische Stimmung. Als Träger dieser erscheint ein verwachsener Schnster-
lehrling, den Christoph kennen lernt, ein von seinem Vater, einem Trunken-
bolde, verwahrloster, schwächlicher jnnger Mann, den er nach einem in der
Schweiz verlebten Iahrzehnt bei seiner Rückkehr nach Paris wieder aufsuchte:
„In Paris", erzählt Rolland, „war etwas Nenes entstanden: eine neue Welt-
ordnung war da; ein Geschlecht war herangewachsen, das mehr danach trachtete,
zu handeln, als zu verstehen, das mehr nach Glück als nach Wahrheit
hungerte. Es wollte leben, sich des Lebens bemächtigen, wäre es selbst um den
Preis der Lüge, Lüge aus Stolz — aus Stolz aller Art: Nassenstolz, Kasten-
stolz, Stolz auf Religion, auf Kultur und Kunst. — Diesem Geschlecht war
jede Art Lüge willkommen, wenn sie nur einen Eisenpanzer, Schwert und
Schild hergab, unter deren Schutz man dem Siege entgegengehen konnte." And
als einen Träger dieses Geistes fand er den einstigen Schusterlehrling wieder,
der ein Dichter geworden war, einen „Heldensang auf Stolz und kriegerifche
Tat" herausgegeben hatte, eine Schilderung der französischen Seele, „der an-
mutsvollen Iungfrau, die den Ägis trägt, der Athene, deren blaue Augen
im Dunklen leuchten, der Arbeitsgöttin, der unvergleichlichen Künstlerin, deren
blitzende Lanze den brüllenden Barbaren niederschlägt". Es waren Dichtungen
„jener Rasse, die durch Iahrhunderte hindurch ihren alten keltischen Duft be°
wahrt hatte, obgleich sie einen wunderlichen Stolz darein setzt, ihre Dienste
mit dem schäbigen Plunder und dem Gefolge des römischen Eroberers zu
behängen". „Das Vertrauen in das Schicksal Frankreichs hatte sich in einen
gleißenden Glauben verwandelt, der Taten suchte und des Sieges gewiß war.
Er wollte den Sieg, er sah ihn, er rief ihn aus . . . Sein Buch hatte wie eine
Schlacht gewirkt, das ganze junge Geschlecht hatte sich in seine Gefolgschaft ge°
drängt, neuen Schicksalen entgegen!"

Rolland spricht von den Kriegen im Orient und sagt darüber: „Die Sehn-
sucht nach Kampf brannte in allen Seelen. Die Welt fühlte sich von einem
Zufall abhängig, der das Gemetzel entfesseln würde. Sie wartete. Auf den
Friedliebendsten lastete das Gefühl der Notwendigkeit." Man begegnete
Christoph mit auffallender Feindseligkeit, die er nicht verstand. Er lebte im
Goetheschen Geist, der „Glück und Anglück der benachbarten Nation fühlt,
wie sein eigenes." Aber seine alten Freunde „träumten von nichts anderem,
als von militärischem RUhm, von Kämpfen, von Eroberungen, von römischen
Adlern, die über den lybischen Wüsten kreisen sollten". Alle Parteien teilten
diesen Wunsch. Man sah, wie wenig Politik und menschliche Vernunft gelten,
wenn die großen epidemischen Leidenschaften über die Völker dahinbrausen.
,In den künstigen Kriegen werden sicherlich Internationalisten und Pazifisten
wie ihre Ahnen vom Convent die Waffen brauchen, und dabei überzeugt sein,
«s zum Besten der Völker und um des Friedens willen zu tun".

Soviel aus Rollands Schilderung der Geistesverfassung Frankreichs kurz

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