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Deutscher Wille: des Kunstwarts — 31,3.1918

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Heft 17 (1. Juniheft 1918)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14373#0145

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hcbung gibt dem Leben Schwuug,
Größe und Stil. Das letzte Wort aber
hat die Freude. Die Religion ist wohl
eigentlich dazu da, den Glauben an
den endlichen Sieg der Freude der
Seele zu geben und zu erhalten. Die
höheren Werte müssen siegen. Dies
glauben heißt zugleich, im tiefsten
Untergrund des Herzens froh sein.

Christian Geher

Nochmals: Die Kirchen auf!
an schreibt uns:

Avcnarius' alter Ruf: „Die
Kirchen für weltliche Versammlungen
auf!" wird immcr noch zu wenig wie-
derholt. Melleicht ist das Folgende
geeignet, der Idee, die Kirchen nicht
sechs Tage in der Woche leer stehen
zu lassen, neue AnhLnger zu gewinnen:

Bci meinem langjährigen Aufent-
halt in der Schweiz fiel mir bald
auf, wie man cs allenthalben als etwas
ganz Selbstverständliches an-
sieht, die Kirchen als Vcrsammlungs-
raum, Festlokal, Kongreßsaal u. a. m.
zu benützen. Die Schweizer, die mich
auf meinen Reiscn kreuz und quer
durch ihr Alpenland bcgleiteten, wun-
derten sich über nichts mehr als dar-
über, daß ich mich darüber wunderte.
Den Grund meines Erstaunens mußte
ich ihnen erst umständlich erläutern.
Aber ihre Frage: „Ia, weshalb haltet
ihr's denn andcrs?" konnte ich nie
befriedigend beantworten.

In Neuchätel sollte ich einen Kur-
sus über ein litcrarisches Thema in
der Schule abhalten. Abcnds von
7 Uhr ab kamen als meine Hörcr bil-
dungshungrige Arbeiter und Arbci-
terinnen dorthin. Schon beim zweiten
Vortrag war der Andrang so stark,
daß das Schullokal sich als zu klein
erwies. Kurz entschlossen erbaten sich
die Veranstalter die Kirche ncbenan.
Eine halbe Stunde später ward der
Taufstein dort mein Nednerpult.

In La Chaux-de-Fonds findct die
Maifeier, wie in vielcn Orten dcr fran-
zösischen Schweiz, alljährlich in der
Kirche statt. Ais ich das erstcmal dort-
hin kam, war sie bercits voll; vorn
am Altar stand die Kapelle des Grütli-
vereins, die zu Vcginn dcr Feier
Märsche und Lieder crtönen ließ, wor-
auf einer von der Kanzel herab als

Nichtgsistlicher, lediglich als Arbsi.er
zu Arbeitern über die Kulturbedeu-
tung der internationalen Verständigung
sprach.

In einem Alpentale war Linquar-
tieruug vor dem Manöver. Die für
mich einberufenen Volksversammlungen
wurden einfach in die Kirche verlegt.
In die Kirche gehen dort wie anders--
wo viele, die in Gasthöfe oder andre
Säle nicht kommen würden, vor
allem Fräuleins und Mädchen. Am
ihre Teilnahme zu gewinnen, kann man
nichts bcsseres tun, als sie zu welt-
lichen Vorträgen in die Kirche zu laden.

In einer größeren Stadt der deut-
schen Schweiz hatte ich bei einem
Arbeiter - Sängerfest die Festrede zu
halten. Ich war schon nicht mehr er°
staunt, als mich die Freunde vom
Bahnhof geradewegs ins Münster führ-
ten, dessen Riesenbau eine festlich ge-
stimmte Menge füllte. Die roten und
andern Fahnen, die man im Festzuge
durch die Stadt getragen hatte, stan-
den rings um die Kanzel. Die präch-
tige Orgel spielte dann im Dienste dcr
Volkskunst. Wo hätte man das Fest
würdiger feiern können?

And wo fand W2 im November,
als der Balkankrieg Europa zu ent-
flammen drohte, jener internationale
Anti-Kriegs-Kongreß der Sozialisten
aus allen Ländern statt, auf dem
Bebel, Iaures, Hardie usw. ihre wuch-
tigen Proteste gegen den Krieg und die
Kricgsanstifter erhoben? Auch iu einer
Kirche, im Münster zu Basel. Und
wer fühlte sich dadurch geehrt? Die
Regierung des Kantons Basel, die
durch ihren Präsidenten Blocher den
Kongreß begrüßen ließ, und ferner
weite Kreise der Geistlichkeit, die da-
mals sagten, mit der Hergabe der
Kirche als Kongreßlokal hätte die
Kirche manches wiedcr gut gemacht,
was sie in der Vorbeugung gegen den
Krieg versäumt habe.

In der Schweiz finden das ganze
Iahr hindurch in den Kirchen zahllose
Volksvcrsammlungen statt, in deueu vor
wichtigen Volksabstimmungen Rats ge-
pflogen und für und gegen erörtcrt wird.

Weshalb? Weil es keine besseren
Versammlungsräume gibt. Hier ist man
vor jeder Störung sicher; kein Kellner
läuft mit Bier durch die Reihen, kein
 
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