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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 20.1902

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Beck, Paul A.: Lavaters Beziehungen zu Schwaben: ein Gedenkblatt zu seinem hundertsten Todestag (2. Januar 1801)
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https://doi.org/10.11588/diglit.18298#0056

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Teile des menschlichen Körpers, speziell
des Kopfes. Während aber L. mit Recht
sein Augenmerk stets auf den ganzen
Menschen und alles, was an ihm ist,
richtete, beschränkte Galt sich auf die Unter-
suchung des Schädels, dessen Bau allein
ihm Aufschluss über das gesamte geistige
Wesen zu geben schien. Trotz dieser Ein-
seitigkeit schlossen sich die späteren Forscher
gleichwohl zumeist au ihn und nicht an
Lavater an, denn Gall süßte auf wissen-
schaftlicher Grundlage und ging methodi-
scher bei seinen Demonstrationen zu Werke.
Doch dehnte man im Sinne Lavaters die
physiognomische Betrachtung auch auf die
Hand und den Fuß aus, und 1835 ent-
warf Karl Gnst. Carus ein seiner Zeit
weit verbreitetes Gesamtwerk über „Die
Symbolik der menschlichen Gestalt". Die
neueste Wissenschaft hat die Grundprinzipien
Lavaters überhaupt anfgegeben und sich
von der Untersuchung der festen Körper-
teile mehr i. S. Lichten bergs zur
physiognomischen Erforschung der beweg-
lichen Muskeln gewandt, namentlich der
GesichtSmnSkeln, welche unter dein direkten
Einflüsse der Geisteslhätigkeit stehen. Nene
Anregung erhielten die physiognomischen
Studien durch Darwins Unkersuchnngen,
ans welcher Grundlage Mantegazza und
Piderit neue Systeme aufgebant haben (s.
auch Litt. Beil, des „Staatsanzeigers"
Nr. 15/16 von 1901, „Lavater und die
Phvsiognomik" von Etsenhans). Weniger
bekannt ist Lavaters merkwürdiges Ver-
hältnis zu einem schwäbischen Wunder-
doktor, dem am 19. Februar 1708 geb.,
zu Plochingen 30. Oktober 1789 ch, Tier-
arzt Martin Keil aus Schlierbach im
Göppinger Amt, welcher die Köpfe von
halb Altwürttimberg und auch eines großen
Teils der Schweiz verwirrt hatte. Nach
zeitgenössischen Nachrichten hatte seine
Physiognomie etwas Affenartiges und soll
dieselbe auch in den „physiognomischen
Fragmenten" L?s unter den religiösen
Köpfen eine Stelle bekommen haben, ohne
daß ich denselben hätte herausfinden können.
Sein Aeußeres drückte aber Gtanbensliebe
ans. Er war ein felsenfester Christ, der
alles in die Bibel hinein- und alles anö
der Bibel herausbrachte, was in seinen
Kram Paßte. Seine Wunderkraft schrieb
er ganz allein seinem starken zweifellosen

Glauben zu, daß geholfen werde, sobald
er helfen wolle. Er nahm, wie er sagte,
alles beim Buchstaben (z. B. „wenn ich
von Simson las, so glaubte ich, ich habe
seine Stärke und hatte sie"). Seine Wun-
derthätigkeit geschah imnnr durch Mittel,
die ihm flugs einfielen, und diese habeu
nach seiner Aussage nie gefehlt. Wenn
ihm z. B. als Hilfe gegen die Hektik
Harzpflaster, oder als Mittel für kranke
Augen — Vitriolöl einfielen, so halsts.
Aber alle diese Mittel mußten ihm schnell
einfallen und ebenso schnell und gläubig
angewandt werden. Von seinen Wundern
mögen einige hier angeführt werden,
wie man sie teils ans seinem eigenen
Munde, teils von seinen Anhängern ver-
nahm. Daß er eine Kuh mit seinem Schatten
heilte, war eines von seinen bekanntesten
Kunststücken; mit seinem Speichel gab er
in einer halben Stunde einem Tauben sein
Gehör wieder! Ein wilder Farren hatte
sich einst losgerissen, den Wärter beinahe
getötet und sich in einen Viehstall geflüchtet,
wo er wie ein wütender Tyrann hauste.
Unser Martin hielt sich in diesem Augen-
blick für Manrachs Sohn, den gewaltigen
Herkules-Simfon und führte den Bullen
einfach am Horn heraus, wie ein Lämm-
lein! Drei Männer spotteten einmal über
seinen Pietismus, der ja damals in Alt-
württemberg Altar und Herd hatte. Martin
sprach zu ihnen flugs nur ein Wort und
— sie zitterten wie Espenlaub, fielen in
Ohnmacht, knieten dann vor ihm nieder
und beteten ihn gar an. Es ging eben,
wie er sagte, eine übernatürliche Kraft von
seiner Hand aus, über die er selbst er-
schrak. Zwei geladene, mit vier Pferden
bespannte Wagen, die in Eis und Morast
trotz der Hilfe von einem Dutzend hand-
fester Bauern stecken blieben, hob er mit
einem lauten gläubigen Machtspruch t
„Hny !" heraus ans dem Schlamm u. s. w.
Daß dieser Helo bei solchen Umständen
auch ein Geisterseher bezw. Geisterbanner
war, läßt sich leicht denken. Eine gewisse
Frau Superintendentin in Kirchheim u. T-,
Madame Seeger, war 4—5 Jahre an
Gliedersucht krank. Als dieselbe einige
100 Thaler zwischen Doktor und Apotheker
geteilt halte, ließ man schließlich auch noch
den Wunderdoktor kommen, um zu helfen
Er kam, blieb nachts im Zimmer, abe
 
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