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Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 20.1902

DOI Artikel:
Beck, Paul A.: Lavaters Beziehungen zu Schwaben: ein Gedenkblatt zu seinem hundertsten Todestag (2. Januar 1801)
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https://doi.org/10.11588/diglit.18298#0057

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49

ohne Licht, auf. Auf einmal Mitternachts
rückten zwei Personen heran, von welchen
die eine Martin flugs hinwegjagte, wäh-
rend die andere bis 2 Uhr morgens blieb.
Mit dem Glockenschlage 2 Uhr trollte sich
auch diese unter lautem Gelächter von
dannen. Martin zitterte an allen Gliedern.
Des Morgens erzählte er seine Erscheinung
und fragte, wann die Krankheit wieder
sich gezeigt habe? Um 2 Uhr, sagte man.
Nun Gott Lob! rief der Wundermann;
es waren die Geister der Krankheit; sie
werden nun nicht mehr kommen; sie sind
verraten. Und von diesem Augenblicke an
ward die Dame gesund, dabei der Wunder-
doktor ein gemachter Mann! Von Pro-
fession war Keil eigentlich ein Tier-
arzt, unter welchem Stande man ja so
manche Heilkünstler und Medikastrierer
antrifst. (Sollte sich etwa die dem Ver-
fasser nicht zugängliche Schrift: „Schreiben
eines Viehhändlers über die Physiognomik.
An ein wolgebohrnes Jntelligenzcontoir
in Hannover — I. G. Zimmermann —
Leipzig, 1775" ans Keil beziehen?) Er
heilte alles, wie gesagt, durch eingefallene
Mittel, sie mochten nun so absurd und
schädlich sein, als sie wollten, und durch
Gebet und war also ein theologisch-
therapeutischer Quacksalber im eigentlichen
Sinn; da er aber hiedurch in die mensch-
liche Heilkunde und die ärztliche Praxis
hineiupfuschte, so nahmen dies die Aerzte
und Wundärzte aus der Göppinger und
Kirchheimer Gegend sehr krumm und ver-
klagten ihn schließlich als einen Hexen-
meister, und der Oberamtmann hatte nicht
übel Lust, einen Hexeuprozeß aus dieser
Anklage herauszuspinnen, trotzdem der
Brotneid aus derselben hervorguckte.
Martins Behausung wurde ausgesucht, ob
man keinen 3piriku3 lümili3ri8 u. dergl.
(zu deutsch: Hausteufel) bei ihm fände?
Aber es war gar nichts Verdächtiges zu
entdecken. Ans dem Hexenprozeß wurde
nichts; man mochte dem Qberamtmann
von guter Seite geraten haben, sich nicht
mit fernerer Untersuchung dieses Mannes
lächerlich zu machen. Trotz allem glaubte
halb Altwürttemberg an die Leistungen
dieses Wundermannes, welcher vielfach als
ein Wesen höherer Art und Kunst hin-
gestellt ward. Keil wurde sehr alt und
starb in einem Alter von 81 Jahren

8 Monaten und 11 Tagen nicht zu
Hanse, sondern ans der Reise zu Ploch-
ingen. Das Totenregister dieser Pfarrei
enthält folgenden (dem dortigen Pfarramt
hiemit bestens verdankten) Eintrag: „Keil,
ein Mann, der durch Lavatern auch in
der gelehrten Welt bekannt geworden,
und den 1. November 1789 mit einer
Leichenpredigt begraben worden. Er war
ein im Gotteswort wohlbewanderter Mann
von vieler geistlicher Erfahrung. Er ist
auf der Reise von Gaildorf nach Haus
allhier in Plochingen krank geworden und
in Herrn Rats- und Amtmanns Appen Haus
.gestorben, an Nachlaß der Natur, nach
einer sechstägigen Krankheit." Und — auf
die Mirakel eben dieses Mannes soll
Lavater, wenn man anders einer Stimme
in der allerdings ziemlich rationalistisch
gehaltenen Zeitschrift: „Deutschlands 18.
Jahrhundert", 8. Bd., 1786, Bregenz im
Verlag der Typographischen Gesellschaft
(welche zugleich an der Hand dieses Falles
zeigen wollte, daß es nicht bloß auf
katholischer Seite, wie man dieser stets
Vorhalte, sondern auch ans protestantischer
Wundersachen u. dergl. gebe), Glauben
schenken darf, sein System von der Kraft
des Glaubens und Gebets gebaut und
diese Wnnderthateu, die der ihm persönlich
bekannt gewordene Martin ihm erzählte,
als praktische Belege, als Thatsachen für
die neuere Wunderkraft der wahren
Christen genommen haben. Ja, Lavater
ließ nach derselben Quelle in den 1770er
Jahren diesen protestantischen Wunder-
mann sogar zu sich nach Zürich kommen
und soll mit ihm in einem Bette ge-
schlafen haben, um jeden elektrischen
Funken von Wunderkraft, der ans dem
corpus des Wundermanns ausginge, auf-
zufangen. Aber die Wunderkraft war von
Keil gewichen; er wußte sich deswegen
klug dahin zu entschuldigen, „er habe
Gott gebeten, daß er seine Wunderkrast
wieder von ihm nehmen möge, bis auf
Kriegszeitsn und Verfolgungen. Aber
dann werde sie zum Dienst der Brüder
wieder erwachen und stark sein rc." —
eine Ausflucht, die der gutmütige Lavater
nur allzu leicht hinnahm. Es war ja
nicht das einzigemal, daß L. von solchen
Leuten und Erscheinungen sich etwas zu
sehr einnehmen und zu wenig Zurückhal-
 
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