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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 13.1903-1904

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Fuchs, Georg: Melchior Lechters Pallenberg-Saal
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https://doi.org/10.11588/diglit.7008#0034

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Georg Fuchs: Melchior Lechters Pallenberg-Saal.

23

cHarles guerin—Paris. Kunst- Vcrglasung.

salon der soc1ete nationale—paris 1903.

lang; die perspektivischen Werte der
Architektur weichen imaginären Gesetzen,
die keine Ferne und keine Nähe mehr
unterscheiden. Es ist alles gleich nahe und
gleich ferne: eine berauschende Vision um-
fängt uns gemach. Es ist, als ob die
Sinne begehrten, ineinander überzuströmen:
Je länger wir weilen in diesem Kreis
0rgiastischer Mysterien, um so heisser be-
rauschen sie sich aneinander; sie drängen sich
lri eine Glut, und steigen auf in einer grossen
Flamme — und raffen uns ganz dahin. —
Nein! — Wir stehen dennoch aufrecht;
2 war taumelnd noch und mit keuchender Brust,
aber schon enthüllt sich unserem Blicke wieder
ein klares Leben. Wir sind zurückgekehrt und
aHes ordnet sich. Wie im letzten Versinken
heftete sich unser trunkenes Auge auf ein Bild,
das mit einem Male aus der scharlachfarbenen
Tiefe der innersten Geheimnisse vor uns ent-
hüllt ward. Ein Mensch wie wir, ein brüder-
liches Wesen von unsrem Fleisch und unsrem
Blut, teilhaftig unsres Leids und unsrer Lust,
hingesunken wie wir vor einem Wunder: so
kniet er und empfängt den geweihten
Irank. Sein Antlitz ist ernst und still.
Gefasstheit, Stolz, Demut, Hingebung und
Entschlossenheit zugleich liegen in seiner

Haltung. Er wird von hinnen ziehen,
gestärkt durch die Wegzehrung, die ihm
geschwisterliche, verklärte Hände vom Quell
der Kraft dargereicht; er wird kämpfen,
schaffen, handeln, nicht abenteuernd in den
verzauberten Wäldern der Märchen, sondern
dort in der grossen Stadt wird er stehen
und wandeln: ein Mann, ein Schenkender
und ein Gebieter, ein Liebender und ein
Geliebter. — Wir fassen uns wieder und
erkennen mit Dank, dass wir nicht taumelten
um zu stürzen, sondern um uns, eigener
Kraft und eigenen Willens doppelt bewusst
und doppelt froh, herrlicher zu erheben.

Es sind so viele Orakel-Sprüche über
Melchior Lechter durchs Land gegangen, dass
es uns gut schien bei diesem kleinen Berichte
über sein letztes Werk dessen innerstes Wesen
so zu deuten, wie es sich uns zu erkennen gab.
Es ist mystisch — aber Kunst ist ja über-
haupt nichts als angewandte Mystik; es ist
keine »Architektur« — aber der Künstler
wollte nichts weniger als »Architektur«. -
Die herrlichen Glas-Gemälde der Fenster-

CHARLES GUERIN—PARIS. Kunst-Verglasung.
 
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