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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Frank, W.: Verstand und Schöpfertum
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0023

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JULIUS HESS—MÜNCHEN.

LANDSCHAFT »STADT AM SEE«

VERSTAND UND SCHÖPFERTUM.

Daß beim Künstler sich Verstand und Schöp-
fertum in gewissem Sinne feindlich gegen-
überstehen, ist seit langem eine gesicherte Ein-
sicht unseres Kunstdenkens. Hier soll von einer
schiefen und ganz mißverständlichen Anschau-
ung gesprochen werden, die sich aus dieser Ein-
sicht allmählich herausgebildet hat. Sie spielt
in der Kunsterörterung eine große Rolle und
führt manchmal zu Folgerungen, die vom Ver-
ständnis wahrer Kunst weit abliegen.

Es gibt zweifellos Künstler, die das Bild eines
überwuchernden Intellekts darbieten. Das sind
Künstler, die sich und andern über den Schaf-
fensprozeß und über die Gründe ihres künstle-
rischen Tuns genaue und bewußte Rechenschaft
zu geben vermögen, Künstler mit ausgeklügel-
ten Methoden oder mit jenem „literarischen"
Einschlag, von dem in den Zeiten des Impres-
sionismus soviel die Rede war.

Die Bekämpfung solcher Künstler kleidet sich
nun sehr oft in die Wendung, daß der Betref-
fende zu viel an Intellekt habe, daß er zu viel

nachdenke, grübele und berechne, daß er seine
Kunst durch ein Übermaß an Bewußtheit ge-
fährde oder gar zu Grunde richte. Und leicht
knüpft sich daran die Meinung: der Künstler
brauche nur dieses Nachdenken einzuschränken,
seinen Intellekt zu dämpfen, so wäre die Ge-
fahrenquelle verstopft.

Diese Anschauung ist in ihrer Grobheit un-
bedingt falsch. Die Sache liegt in derartigen
Fällen immer so, daß nicht der Intellekt zu stark,
sondern das schöpferische Vermögen zu schwach
ist. Der Künstler wie jeder andere Mensch muß an
seine Arbeit genau so viel Überlegung und Ver-
standestätigkeit knüpfen, als ihm möglich oder
ersprießlich scheint. Durch zu vieles Denken ist
noch kein Künstler zugrunde gegangen. Überall,
wo der Intellekt in der Kunst als störende Son-
derqualität hervortritt, liegt ein Versagen der
schaffenden Kraft, nicht ein zuviel an Bewußt-
heit zugrunde. Durch willentliche Dämpfung
des Bewußtseins wird in solchen Fällen kein
Jota gebessert, und diejenigen gehen gewaltig

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XXVI. Oktober 1922. 2
 
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