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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Roessler, Arthur: Städtebilder: ein Gespräch zweier Freunde ; erlauscht und niedergeschrieben
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Goethe, Johann Wolfgang von: Über die Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0381

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Städtebilder.

aber, ist die Architekturmalerei nicht doch nur
ein untergeordneter Zweig der Malerei, eine
allzu eng begrenzte Kunst?"

Der Andere: „Das kommt ganz auf den
Maler an."

Der Eine: „Sicherlich; aber Beschränkung
liegt dennoch in der Gattung."

Der Andere: „Beschränkung, und zwar
selbstgewollte, allerdings, nicht aber Beschränkt-
heit. Übrigens gibt es Städtemaler, die nicht
nur die steinernen Mäler konterfeien, die viel-
mehr die gestaltenreiche und buntfarbige, hitzige
und hastige, nervöse Lebhaftigkeit der Märkte
und Plätze großer, menschenvoller Städte, mit
ihren gestaltendurchwirkten Gartenanlagen und
von einem Gedränge an Fischern, Werftarbei-
tern und Müßiggängern dicht befransten Fluß-
ufern lieben und darstellen. Die besten Könner
der Städtemalerei allerdings, die lieben die
Goldtonigkeit dunstig schwerer oder die von
Silbergeflimmer durchflirrte Helligkeit belebt
klarer Lüfte, und die abseitige Ruhe der Stätten
vergangener Größe; die erhabenen Reste alter
Bauten, die gotischen Dome, in deren Glasfen-
stern die verlorene Gläubigkeit farbig aufglüht,
wie traumhaftes Erinnern, und in deren stein-
geklöppelten Türmen die Erdenschwere sich
aufzuheben, zu verhimmeln scheint; sie lieben
die Kirchen, in deren spitzbogigen Hallen helle
Engelreihen heiter flatternd kreisen; sie lieben
prunkende Paläste, die in Italien, in rauten-
haft behauenem Würfelstein aufgeschichtete
Denkmäler mittelalterlich herrischer Hochmtitig-
keit und Verachtung, dagegen in Flandern die
zum kubisch wuchtenden Gebilde verdichteten
Merkmale kühnen und strengen Ernstes sind,

von welchem eine anschauernde Drohung kühl
aushaucht. Sie lieben ferner auch die gleichsam
vergessenen Kleinseiten und Ghettowinkel,
deren gekrümmte Gassen mit dem buckligen
Katzenkopfpflaster voller Lücken, den alters-
morschen, schief verschobenen Häuschen, den
gerümpelreichen Kramladen und Werkstätten,
den räucherigen Wirts stuben und tonnenge-
wölbigen, tiefräumigen Wohngelassen, samt dem
darin waltenden Leben. Dank ihrer selbsthaften
Art, ihrer Kenntnis vom Architektonischen und
ihrer sorgfältigen Zeichnung, sind die Bilder
der Städtemaler phantastisch anmutende und
dennoch getreue Wiedergaben von Erscheinun-
gen, die in ihrer Dinglichkeit noch gegenwärtig
sind, verklärt vom verblichenen Glanz einstiger
Herrlichkeit. Die Kunst der Städtemaler mag
romantisch sein, aber ihre Romantik ist der
kunstwertige Ausdruck von Wirklichkeit. Das
ist eine Tatsache, wie es eine Tatsache ist, daß
ebenso wie der subjektivsten, auch der abstrak-
testen bildmäßigen Darstellung eine sehsinn-
liche Wahrnehmung, ein Kern von wirklich
Gesehenem zugrunde liegen muß, wenn die
Darstellung glaubhaft, wahrscheinlich, bildhaft
wirken soll."

Der Eine: „Du redest demnach der gegen-
ständlichen Malerei das Wort?"

Der Andere: „Freilich tu' ich das. Viel-
leicht denkst du einmal darüber nach, warum
ich das wohl so tue. Vielleicht stellst du dir
die Frage und beantwortest sie dir auch selbst,
ob Gegenstandslosigkeit — zumal in der an
Sinnfälligkeit unlöslich gebundenen Kunst —
nicht mit Wesenlosigkeit etwa gleichbedeu-
tend ist.".................a. r.

ÜBER DIE BAUKUNST.

Ein edler Philosoph sprach von der Baukunst
als einer erstarrten Musik und mußte da-
gegen manches Kopfschütteln gewahr werden.
Wir glauben diesen schönen Gedanken nicht
besser nochmals einzuführen, als wenn wir die
Architektur eine verstummte Tonkunst nennen.
— Man denke sich den Orpheus, der, als ihm
ein großer wüster Bauplatz angewiesen war,
sich weislich auf die schicklichste Art nieder-
setzte und durch die belebenden Töne seiner
Leier den geräumigen Marktplatz um sich her
bildete. Die von kräftig gebietenden, freundlich
lockenden Tönen schnell ergriffenen, aus ihrer
massenhaften Ganzheit gerissenen Felssteine
mußten, indem sie sich enthusiastisch herbei-
bewegten, sich kunst- und handwerksmäßig ge-
stalten, um sich sodann in rhythmischen Schich-

ten und Wänden gebührend hinzuordnen. Und
so mag sich Straße zu Straße anfügen. An wohl-
schützenden Mauern wird's auch nicht fehlen.

Die Töne verhallen, aber die Harmonie bleibt.
Die Bürger einer solchen Stadt wandeln und
weben zwischen ewigen Melodien, der Geist
kann nicht sinken, die Tätigkeit nicht einschlafen,
das Auge übernimmt Funktion, Gebühr und
Pflicht des Ohres, und die Bürger am gemeinsten
Tage fühlen sich in einem ideellen Zustand:
ohne Reflexion, ohne nach dem Ursprung zu
fragen werden sie des höchsten sittlichen und
religiösen Genusses teilhaftig.

Dagegen in einer schlecht gebauten Stadt,
wo der Zufall mit leidigem Besen die Häuser
zusammenkehrte, lebt der Bürger unbewußt in
der Wüste eines düsteren Zustandes. goethe.
 
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