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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Schmid-Riegel, Friedrich: Das Erlebnis am Werktisch
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0253

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NEBEN-
STEHENDES
ZIERSTÜCK
GEÖFFNET.

DAS ERLEBNIS AM WERKTISCH.

VON FRIEDRICH SCHMID-RIEGEL.

Skizzen und Detailzeichnungen sind mir nichts
weiter als die Grundlage für die Gestaltung
eines Werkes. Nur die wesentlichsten Linien
und Formen lege ich darin fest, ohne mich in
den Einzelheiten zu binden. Bei der Ausfüh-
rung ergeben sich mancherlei Abweichungen;
denn wenn ich dabei bin, mein Metall auf dem
Aufziehklotz zu schlagen und zu treiben, dann
erwacht in mir erst recht die Freude am Spiel
der Formen, dann vergeß ich mich selbst und lebe
ganz im Banne der Lichter, Reflexe und Farben.

Das Erlebnis am Werktisch ist es, was mich
zum Werk begeistert. Von Kunst will ich nicht
reden. Aber ich halte dafür, daß das Kunstwerk
nicht aus dem Willen seines Schöpfers kommt,
sondern der Begeisterung entstammt und nur
in ihrem Sonnenstrahl sich entfalten kann.

Der Kunsthandwerker muß zu seinem Mate-
rial ein freundschaftliches Verhältnis finden; er
muß gleichsam zu seinem Erzieher werden.

Denn die Liebe zum Material führt am ehesten
zum künstlerischen Werk. Wo diese Liebe fehlt,
ist die Arbeit nichts anderes als Mühe und Plage.

Daraus ergibt sich, daß alle Formgestaltung
— um lebensfähig zu sein — aus dem Wesen des
Materials geboren sein muß. Der Entwerfer
schöner Zeichnungen erreicht nur selten das
Ziel. Nur der ist auf der rechten Spur, der er-
kannt hat, was aus dem Material herauszuholen
ist, der es versteht, seine Tugend zu offenbaren
und seine Schönheit sichtbar zu machen. Der
rechte Weg führt aus dem Material heraus,
der falsche Weg führt ins Material hinein. Der
falsche ist der Pfad, den der Zeichner geht,
wenn er das Material vergewaltigt und es
seinem Willen zu unterwerfen sucht.

Daher kommt es, daß so manches Werk, das
nach einer fremden Zeichnung mit peinlicher
Sorgfalt gefertigt wurde, enttäuscht und weder
den Handwerker noch den Zeichner befriedigt.
 
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