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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Niebelschütz, Ernst von: Sinn und Aufgabe der Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0306

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SINN UND AUFGABE DER KUNSTKRITIK.

VON ERNST V. NIEBELSCHÜTZ—MAGDEBURG.

Die Kunstkritik ist ein Erzeugnis des Prin-
zips der Arbeitsteilung. Man darf seine
Kräfte nicht zersplittern, weil man sie für den
Beruf braucht, in dem man Meister ist, oder
doch zu werden hofft. Was außerhalb dieses
eng umhegten Bezirks noch existiert, alle üb-
rigen Lebensbetätigungen, materielle wie gei-
stige, betrachtet man als eine Art Terra incog-
nita, für die es bestimmte Fachleute gibt, Spe-
zialisten, auf deren Urteil man sich verläßt.

Mit dem Auseinandertreten von Kunst und
Volk und der Ablösung des letzteren durch
das abstrakte „Publikum" erstand wie von
selbst der Kritiker. Er schob sich — als Brücke
gleichsam — zwischen beide. Diese vermit-
telnde Position ist für das kritische Amt cha-
rakteristisch, und alle weiteren Folgerungen er-
geben sich aus ihr. Im allgemeinen zwar glaubt
der Künstler in der Kritik nur ein Instrument
des Publikums, also eine feindliche Macht, und
in der gedruckten Rezension das Gorgonen-
haupt der öffentlichen Meinung sehen zu müssen.
Nicht ganz ohne Grund. Denn in der Tat be-
trachten sich manche Kritiker, schon infolge
ihrer Zugehörigkeit zur Presse, ganz einseitig
als Sprachorgane der öffentlichen Meinung,
deren Kennzeichen es nun einmal ist, in Kunst-
dingen ein Urteil hinzuwerfen, das, aus den
Bedürfnissen und Stimmungen des heutigen

Tages geboren, nach der Bestätigung des mor-
genden schon nicht mehr zu fragen braucht.

Auch hat es, solange die öffentliche Meinung
entscheidet, noch nie eine solche gegeben, die
das werdende Talent frühzeitig erkannt, ja ihm
auch nur ein Mindestmaß von Vertrauen ent-
gegengebracht hätte. Es ist immer das gleiche
beschämende Schauspiel: sobald einmal eine
außerordentliche Persönlichkeit auftritt, wird
sie verlacht, geschmäht, bekämpft, mit allen
Mitteln, deren sich das unpersönliche Prinzip
mit Erfolg zu bedienen pflegt, vom passiven
Widerstand bis zur radikalen Ablehnung. —
Goethe hat schon recht: „Ein deutscher Künst-
ler, ein deutscher Märtyrer".

Ein Kritiker also, der sich als Parteigänger
des Publikums fühlt, macht sich, meist ohne es
zu wissen und zu wollen, zu dessen Büttel und
verfehlt seinen Beruf. Denn dieser Beruf ist
kein negativer. Wer ihn so auffaßt, versteht
ihn nicht. Denken wir an unser Gleichnis! Die
Brücke hat eine sehr positive Funktion:
Bindeglied zu sein! So gewertet, entwickelt
sich aus dem kritischen Amt, in dem Tausende,
wie gesagt, nur das verneinende Moment sehen,
plötzlich eine Aufgabe von höchster ethischer
Würde und sozialer Bedeutsamkeit: zwei Le-
bensmächte, die durch ein tragisches Schicksal
getrennt worden sind — die Welt der Schaf-
 
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