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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Niebelschütz, Ernst von: Sinn und Aufgabe der Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0308

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Sinn und Aufgabe der Kunstkritik.

fenden und die der
Genießenden — ein-
ander zu nähern,
sich wechselseitig
verstehen zu leh-
ren. Man kann, vom
Standpunkt glück-
licherer Zeiten aus
betrachtet, dieses
ganze Verhältnis für
höchst unnatürlich
und absurd halten.
Es wird aber, wenn
überhaupt, nur sehr
allmählich zu än-
dern sein. Vorerst
gilt es jedenfalls,
aus der Not eine
Tugend zu machen.

— Um dies zu kön-
nen, muß der Kriti-
ker, wie der Brük-
kenbogen, auf bei-
den Ufern wurzeln.
Das Publikum zwar
kennt er meist nur
zu gut, weniger den
Künstler. Nur die

ununterbrochene
Fühlung mit der
Welt des Schaffen-
den, nur das mitfüh-
lende Leben mit und
in ihr gibt ihm aber
erst die Möglichkeit,
sein Amt so auszu-
üben, wie er es vor
seinem Gewissen
verantworten kann

— nicht als Schul-
meister, der Zensu-
ren austeilt, sondern
als Mittler, der die

Bedingungen des Kunstwerks kennt und diese
Kenntnis allgemein zu machen bestrebt ist.
Fühlt er sich dem Künstler gleich, oder gar
überlegen, wie das die Fernow, Schorn und
Rumohr zu Beginn des 19. Jahrhunderts taten,
die auf Grund vorgefaßter Meinungen in ihrem
metaphysischen Hochmut haarscharf zu wissen
glaubten, was falsch und was richtig ist, so
wird seine Kritik zur Anmaßung und er selbst
zum blinden Vernichter der lebendigen Kunst,
deren Pflege ihm doch anvertraut ist.

Im allgemeinen fordert der Künstler von der
Kritik viel weniger als das Publikum. Gewiß,
er braucht sie, und meist ist ihm eine törichte

MAX KRÜGER—BERLIN. »KLEINE LEUCHTERKRONE«

Kritik, die ihn lobt,
angenehmer als eine
gute, die dieses oder
jenes zu beanstan-
den hat. Das ist
menschlich ver-
ständlich, denn eine
Kritik kann über
Ehre und Existenz
entscheiden — ein
Grund mehr für den
Kritiker, sich der
größtenSachlichkeit
zu befleißigen. Am
Einfachsten wäre es
zweifellos, sich auf
Grundsätzliches zu
beschränken, eine
Kunst - Ausstellung
also nur als Ganzes
zu würdigen, auf die
Einzelleistungen da-
gegen nur insoweit
einzugehen, als zur
Verdeutlichung des
Gesamtbildes nötig
ist. Aber wäre der
Künstler selbst da-
mit einverstanden?
Er wünscht genannt
zu werden, und er
hat schließlich auch
ein Anrecht darauf,
denn der aristokra-
tische Charakter der
Kunst bringt es mit
sich, daß eben doch
nur der persön-
liche Wert fesselt,
besonders wenn der
Einzelne mit seiner
individuellen Leist-
ung aus der allge-
meinen Wertebene heraustritt. Dazu kommt
dann freilich ein negatives und bedenkliches
Moment. Der Künstler hat sich daran gewöhnt,
bei aller zum Teil sehr berechtigten Abneigung
gegen die Kritik als solche in einer empfeh-
lenden seine beste und wirkungsvollste Re-
klame zu sehen und mit dem Leporello-Album
anerkennender Rezensionen in der Tasche die
Zweifelnden für sich einzunehmen. Welche
Gefahren der Kritik aus dieser Einschätzung
erwachsen können, ist klar.

Verderblicher in ihren Wirkungen aber ist
die Tyrannis, die das zeitungslesende Publi-
kum ausübt. Es will schnell bedient sein und
 
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