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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Ritter, Heinrich: Bücherfreude
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0320

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Bücherfreude.

Tasche oder gar in der hohlen Hand zu ver-
schwinden. Was ist das Lesen hier und was
ist es dort I Welten liegen dazwischen.

Die ersten Ausgaben unsrer Klassiker —
wieviel Tüchtigkeit und Humanität in den ent-
zückenden Mittelformaten, wieviel hilfsbereite
Angeschmiegtheit an den Menschen, welche ge-
bildete, höfliche und herzliche Art des äußeren
Auftretens! Man weiß, wie jene Zeit das
schlichte Material des Papiers zu lieben begann,
nicht nur als Tapete an Wand und Möbeln,
nicht nur als Material für Silhouette und Kupfer-
stich, sondern auch als Buchhülle. Die schönen,
echten Farbtöne, die gediegenen, bescheidenen
Musterungen dieser Papiere sind eine immer
neue Freude. Man fängt in dieser Zeit auch
erneut an, mit den Abmessungen des Buchs zu
spielen. Aber wie entzückend weiß man das
Spiel zu führen! Ob schlank oder breit, immer
ist eine Richtigkeit der Empfindung bemerkbar.

Und auch in diesem Winkel der gewerblichen
Formung sieht man, daß damals der Mensch
noch Herr seiner Welt und ihrer Dinge war, daß
er sie übersah und zu handhaben wußte.

Woher dann der Niedergang im neunzehnten
Jahrhundert? War es die böse Maschine allein?
Eher wohl die Gesinnung, die die Maschine
aufbrachte. Noch unter der Herrschaft der
neueren, besseren Einsichten wieviel Fehlgriffe,
wieviel Unempfindlichkeit für das, was ein höf-
liches oder stolzes, ein plauderndes oder starkes
Buch an Tugenden des Auftretens besitzen muß.
Viele von unsern Büchern sind heute noch un-
erzogen, haben schlechte Manieren und keine
wahre Menschenliebe. Einbandfarben, die rasch
verschießen, Formate, die ungesellig und hoch-
fahrend auftreten, Verzierungen, die schwächlich
oder überlaut sind, Satzbilder, die starr und
schematisch wirken — diese Fehler sind noch bis
in die jüngste Zeit sehr häufig. . . heinr. ritter.
 
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