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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 51.1922-1923

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Ritter, Heinrich: Ivan Mestrovic
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https://doi.org/10.11588/diglit.9144#0349

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Ivan Mestrovic.

London (1916), Genf (1916), Cannes (1917 —
1918). Unschwer ist aus dem Physiognomischen
dieser Schöpfungen festzustellen, daß der Künst-
ler damals unter Verbitterung und Enttäuschung
über die Weltläufte stand. Seine Christus-
figuren sind lauter Anklagen gegen die entartete
Menschheit, sie tragen alle einen Ausdruck von
tiefer Qual. Gegen Ende des Kriegs befand
sich Mestrovic wieder in Rom. In dieser Zeit
beginnt sich die Bitterkeit zu lösen, jenseits
von der heroischen und gequälten Seelenlage
beginnt sich ein milderes, harmonischeres Ge-
fühl zu offenbaren, verdeutlicht in Figuren, die
um den Gedanken der Musik kreisen. Das
Mädchen mit der Mandoline, das Mädchen mit
der Violine entstanden in dieser Zeit. Nach
Kriegsende begann die Arbeit an einer monu-
mentalen Grabkirche bei Ragusa.

Selten wohl hat das Selbstbildnis eines Künst-
lers so viel über seine künstlerische Welt und
Weltanschauung ausgesagt, wie es bei dem hier
abgebildeten Kopfe von Mestrovic der Fall
ist. Nicht nur der Kopf an sich kommt dafür in
Frage, sondern auch die vom Künstler selbst
gegebene formale und seelische Deutung. Das
Erste ist die außerordentlich stark betonte
Körperempfindung, das Erleben in Bewegung,
Spannung, Muskelspiel und verhaltener Ge-
mütserregung. Der Kopf biegt sich stark zur
Seite, über die linke Schulter nach abwärts;
das sprechende Spiel der Stimmuskeln, die
Überwölkung der scharf, fast etwas mongolisch
geschnittenen Augen, das am Hals angepreßte
Kinn, der heftig ausgesprungene Halsmuskel —
dies alles ist enträtselnd für die geistige Hal-
tung des Künstlers, für sein Naturell, für seine
künstlerische Gesinnung. Interessant ist der
Gegensatz, in dem diese künstlerische Ideal-
welt zum persönlichen Wesen des Künstlers
steht. Denn dieses ist durchaus still und zurück-
haltend, schlicht und bescheiden, ganz auf red-
liche Arbeit und fleißiges Werkstatt - Dasein
angelegt. Man sehe seine Porträtplastiken
an: überall die momentane, durchschlagende
Bewegung. Noch in den ruhenden, noch in den
ganz gedämpften Figuren, welch eine über-
zeugende Körperlichkeit, welch schmiegsames
Krümmen der Schultern, welches Lasten des
Kopfes, welches ausgeprägt animalische Gefühl
von Anspannung und Abspannung der Muskeln,
welcher stumme Dialog der lastenden und tra-
genden Kräfte! Das hat sein Gegenspiel im ge-
müthaften Inhalt dieser Kunst. Alle Men-
schenbildung von Mestrovic drängt auf einen
schmallippigen, trotzigen, aber sehr „melodiö-
sen" Menschentyp hin. Noch in der Gebanntheit
seiner Haltung ist verhaltene Leidenschaft.

Stolz und Herbheit prägen sich aus in langge-
zogenen Gliedern, scharfgemeißelten Mündern,
hochstehenden Stirnen, aktiven Nasenformen.

Der Geist, der diese Kunst am entschieden-
sten beherrscht, ist der Geist der Musik. Me-
strovic versteht sich auf Wohllaut aller Art.
Das melodiöse Fließen seiner Linien an den
Vollfiguren, ihr glockenhaftes Ineinanderschwin-
gen in den Holzreliefs, das gelöste, anmutige
Aufsteigen seiner Massen drängt überall zum
Vergleich mit der Regung von Naturdingen, ist
also seinem Grundwesen nach der Musik ver-
wandt. Man muß zugeben, daß von Seiten dieser
weitgetriebenen, durchgefeilten Leichtigkeit und
Fertigkeit, von Seiten dieser melodiösen Gefäl-
ligkeit dem Künstler eine gewisse Gefahr droht.
Sie führt leicht dazu, daß Routine und Manier
sich anstelle ursprünglicher Empfindung schie-
ben und daß die Form gegenüber den ewig
verehrungswürdigen Widerständen Pyrrhus-
siege erkämpft. So sind zwar von einer ge-
wissen Seite her die in ägyptischem, mittelalter-
lichem (Elfenbeinschnitzerei) und spätrömi-
schem Geschmack gehaltenen Darstellungen aus
der heiligen Geschichte die reifsten und köst-
lichsten der hier gezeigten Leistungen. Sie
haben einen Reiz, dem sich kein gebildetes
Auge zu entziehen vermag, sie sind mit einer
Kenntnis der Relieftechnik und der Naturform
gemacht, die ohne Zweifel etwas Bestrickendes
hat. Aber sie führen auch teilweise die Natur-
bestandteile in eine gefährliche stilistische Re-
gion hinüber, sie musizieren mit Körperformen
des Heilands und der Engel so sicher, so fabel-
haft fertig und kunstvoll, daß man mehr das
Subjekt des Künstlers spürt als das große Ob-
jektive der Welt.

Sicher ist jedenfalls, daß Mestrovic eine
klare und feste künstlerische Weltanschauung
besitzt. Seine Formen sprechen. Sie sprechen
in knapper, zügiger und schwungvoller Zunge.
Kein Verweilen bei wertlosen Einzelheiten;
dazu eine starke stilistische Kraft, die alles
Gesehene zum Geschauten macht und das
Wirkliche ins Legendenhafte steigert. Unter den
Bildhauern der Gegenwart behauptet dieser
Slawe einen Ehrenplatz. Ein reizvoller Erzähler
in den Reliefs, ein großzügiger Architekt in den
Vollfiguren, immer aber ein Musiker und ein
Priester — so kann er wohl als der bedeutendste
und charaktervollste Beitrag eingeschätzt wer-
den, den das Slawentum zur Kunst der Gegen-
wart beizusteuern hat. Seine Muse ist eine
schlanke, aristokratische Dame von vollendeter
Feinheit der Formen und großem weiblichem
Reiz, streng, aber rührend schön, hebenswürdig
ohne Charakterlosigkeit.....Heinrich ritter.
 
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