Zur Psychologie des Straßen-Bildes.
erwarten und hoffen durfte. Nur das Licht ist
in allerletzter Zeit als Steigerungsmittel mehr
verwendet worden. Farbige, sich drehende
Plakatsäulen funkeln im Gewimmel der men-
schenerfüllten Straßen, lichtstrahlende Anprei-
sungen überfallen von den Dächern der hohen
Häuser herab die Sinne der Passanten. Aber die
Erker der großen Warenhäuser sind erhellt nicht
berauschender als die Ausstellungen des Tages.
So ist es, wie wenn der Krieg nicht nur die
materiellen Kräfte lahmgelegt, sondern auch
den psychischen Elan, die fließende Ader der
neuen Ideen, müde und blutleer gemacht hätte.
Es scheint, als ob in Europa die Naivität der
Antriebe eingeschlafen wäre. Warum kommt
kein Kaufmann auf die Idee eine Kinoauffüh-
rung seiner sämtlichen Modelle in den verdun-
kelten Straßen zu geben? Wie wenig werden
die starken reinen Farben des Expressionismus
zur Überraschung und Verblüffung der Vor-
übergehenden benutzt. Auch die Erker könnten
durch zwei Stockwerke durchgezogen anders-
artige Häufungen und architektonische Kon-
struktionen bringen. In Amerika stellt eine
Nahrungsmittelfabrik eine Reihe von Kindern
in rotwangiger Gesundheit in einem Erker zur
Schau, die die Vorzüge eines Kindermehles
beweisen sollen. Derartige Reklamen kosten
im Verhältnis zu ihrer Originalität sehr wenig.
Nicht daß wir diese letztgenannte Neuerung
geschmackvoll oder vornehm fänden. Leider
ist die Industrie nicht immer vornehm und
geschmackvoll, da ihr eingeborenster Trieb,
Absatz zu schaffen, sie oft über die Erwäg-
ungen des Taktgefühles hinaustreibt.
Die moderne Straße ist ein Tohuwabohu von
Gut und Böse, von monströser Komik und
ernstem Schönheitswillen.
% Aber das rauschende Leben faßt alles zu einer
Art von Einheit zusammen, dr. s. schwabacher.
Ä
Was nicht lebhaft und tief empfunden aus dem
Herzen strömt, kann auch nicht wieder zum
Herzen gehen. Man traut den Gemütskräften
viel zu wenig zu. Was auf das Gefühl des Men-
schen wirken soll, muß aus dem Gefühl hervor-
gehen. Wissen ist nur für den Verstand, aber
Kunst ist nicht Wissenschaft. . ludwig Richter.
erwarten und hoffen durfte. Nur das Licht ist
in allerletzter Zeit als Steigerungsmittel mehr
verwendet worden. Farbige, sich drehende
Plakatsäulen funkeln im Gewimmel der men-
schenerfüllten Straßen, lichtstrahlende Anprei-
sungen überfallen von den Dächern der hohen
Häuser herab die Sinne der Passanten. Aber die
Erker der großen Warenhäuser sind erhellt nicht
berauschender als die Ausstellungen des Tages.
So ist es, wie wenn der Krieg nicht nur die
materiellen Kräfte lahmgelegt, sondern auch
den psychischen Elan, die fließende Ader der
neuen Ideen, müde und blutleer gemacht hätte.
Es scheint, als ob in Europa die Naivität der
Antriebe eingeschlafen wäre. Warum kommt
kein Kaufmann auf die Idee eine Kinoauffüh-
rung seiner sämtlichen Modelle in den verdun-
kelten Straßen zu geben? Wie wenig werden
die starken reinen Farben des Expressionismus
zur Überraschung und Verblüffung der Vor-
übergehenden benutzt. Auch die Erker könnten
durch zwei Stockwerke durchgezogen anders-
artige Häufungen und architektonische Kon-
struktionen bringen. In Amerika stellt eine
Nahrungsmittelfabrik eine Reihe von Kindern
in rotwangiger Gesundheit in einem Erker zur
Schau, die die Vorzüge eines Kindermehles
beweisen sollen. Derartige Reklamen kosten
im Verhältnis zu ihrer Originalität sehr wenig.
Nicht daß wir diese letztgenannte Neuerung
geschmackvoll oder vornehm fänden. Leider
ist die Industrie nicht immer vornehm und
geschmackvoll, da ihr eingeborenster Trieb,
Absatz zu schaffen, sie oft über die Erwäg-
ungen des Taktgefühles hinaustreibt.
Die moderne Straße ist ein Tohuwabohu von
Gut und Böse, von monströser Komik und
ernstem Schönheitswillen.
% Aber das rauschende Leben faßt alles zu einer
Art von Einheit zusammen, dr. s. schwabacher.
Ä
Was nicht lebhaft und tief empfunden aus dem
Herzen strömt, kann auch nicht wieder zum
Herzen gehen. Man traut den Gemütskräften
viel zu wenig zu. Was auf das Gefühl des Men-
schen wirken soll, muß aus dem Gefühl hervor-
gehen. Wissen ist nur für den Verstand, aber
Kunst ist nicht Wissenschaft. . ludwig Richter.