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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 1): Denkmäler aus alter Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3501#0182

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Die Theater von Pompeii und Jassust

antiken Prosceniums auch die hölzernen Balken seines Ueberbaues von unten, von der Bühne aus gestützt
worden sein, und wir würden daher freistehende Stützen auf dem antiken Proscenium oder vielleicht lieber
eine Beschränkung seiner Breite durch hölzerne Paraskenien anzunehmen haben *'). Durch die letztere
Restauration dürfte dann das antike Proscenium dem unserer heutigen Theater sehr ähnlich werden und
die Aufstellung der Flugmaschinen, die schon beim griechischen Theater bestanden haben müssen, dürften
keine Schwierigkeit mehr finden. L. L.

Das Theater zu Jassus.

Die antiken Monumente Klein-Asiens, besonders die des westlichen Theils desselben und nahe an
den Küsten des aegeischen Meeres gelegenen, haben in ihren Anordnungen und nach ihrem Architecturstyl
die grösste Aehnliehkeit mit denen des europäischen Griechenlands. Diese Aehnlichkeit darf nicht Ver-
wunderung erregen, wenn man bedenkt, dass diese beiden Länder von einem und demselben Volke mit
gleichen Sitten und gleichen Bedürfnissen bewohnt waren. Vielleicht mehr noch als die anderen Bauwerke
beweisen die Theater das oben Gesagte, wie unsere Leser aus der nachfolgenden Beschreibung des
Theaters zu Jassus, das noch in Mitten der Ruinen jener Stadt sich erhebt, werden ersehen können.

Jassus, das heute Ayas oder Assin-Kalesi heisst, wurde zuerst von argivischen Colonisten, später
von milesischen bewohnt. Es lag auf einer kleinen Insel, die von der Küste Cariens nur durch einen so
schmalen und so wenig tiefen Meeresarm getrennt war, dass er sich heute in einen Sumpf verwandelt
findet. Die Stadt, die niemals sehr grosse Bedeutung hatte, ist jetzt beinah unbewohnt; sie war an den
Abhängen eines kegelförmigen Berges erbaut, auf dessen Gipfel die Akropolis stand, die so in der Mitte
der Stadt und auf ihrem höchsten Punkte gelegen war. Etwa 150 Schritt von den Mauern dieser Burg
liegt an dem östlichen Abhang des Berges das Theater, das das älteste und besterhaltenste Gebäude der
alten Stadt ist. Eine Inschrift mit grossen Buchstaben ist auf einem glatten Streifen der halbkreisrunden
Umfassungsmauer des Theaters etwa in der Höhe der vierten Sitzstufe eingehauen und lehrt uns, dass
es auf Kosten eines gewissen Zopatros, des Sohnes des Epiktet erbaut worden, der Chorag, Agonothet
und Stephanophor war und dem Bacchus und dem Volke dies Bauwerk mit seinen Sitzen und seiner
Bühne geweiht hatte. Eine andere sehr lange, auf fünf Tafeln angeordnete Inschrift, befindet sich an
einem Pfeiler in der Nähe der Orchestra; aber ihre Buchstaben sind so klein und so verwittert, dass sie
sich nicht mehr gut lesen lässt.

Das Theater von Jassus hat die Form aller Theater der Alten; sein Grundriss ist an einer Seite
halbkreisrund und an der anderen rechtwinklig; doch ist die Area des eigentlichen Theatron oder des
Raumes, wo sich die Zuschauer befanden, etwas grösser als ein Halbkreis, wie dies bei dem griechischen
Theater zu sein pflegt. Eine einfache Thür führt zu einer Treppe^ die auf die Höhe des Zuschauerraums
oder zu einem unbedeckten Gange oder Diazoma bringt, der an 12 rheinl. Fuss breit ist. Dieser Gang
umschliesst wie ein Gürtel (daher auch Diazoma genannt) die Anzahl der Sitzstufen, deren zwanzig sind
und die sich grossentheils noch an ihrem Platze befinden. Kein Zwischengang theilt diese Sitzstufen
in mehrere Ränge. Vier Treppen brachten die Zuschauer von dem Diazoma auf ihre Plätze; diese Treppen
wenden sich nach dem Centrum der Orchestra und sind so gebildet, dass eine Sitzstufe immer in zwei
Treppenstufen zerfällt. Die Sitzstufen, die ungefähr doppelt so breit als hoch sind, bestehen aus weissem
Marmor wie alles noch Uebrige an dem Gebäude. Die Sitzstufen sind so profilirt, dass ihre Vorderseite
nach hinten ausgeschnitten ist, so dass die Zuschauer ihre Beine, wie bei dem Theater zu Taormina in
Sicilien, zu grösserer Bequemlichkeit etwas zurücknehmen konnten. So zeigt denn jede Sitzstufe das
Profil einer grossen Welle, die auf einer Kehle nebst Platte ruht. Eine andere noch bemerkenswerthere
Besonderheit dieses Theaters besteht darin, dass jede Sitzstufe da, wo sie von den Treppen durchschnitten
wird, mit einer Löwenklaue decorirt ist.

Eine ganz einfache mit einem Simswerk gekrönte Brüstungsmauer aus Marmor schied die Zuschauer
von der Orchestra, die etwa um 2| Fuss niedriger als die letzte Praecinctio oder der unterste Gang des
Zuschauerraums liegt. Die Eingänge zur Orchestra, die Pavodoi, liegen zur Rechten und Linken des

des

*) Sobald keine isolirte Unterstützungen der Balken des Prosceniums von unten zugegeben werden, so fällt die grosse Breite
der alten Proscenien von selbst, und dieselbe muss durch hölzerne Einbauten beschränkt worden sein. Bei grösseren
Bauten der Proscenien hätte man erzene statt der hölzernen Balken wählen müssen, und nach Plutarch hatte Alexander
auch ein erzenes Proskenion beim Theater zu Pellae erbauen lassen.
 
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