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Die Gartenkunst — 12.1910

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Lux, Joseph August: Vorgärten aus Goethes Tagen
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https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0048

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40

DIE GARTENKUNST.

XII, 3

heit im Vergleiche mit der ungezwungenen Natürlich- verschwinden, was leider sicherlich der Fall sein wird,
keit dieser ländlichen Vorgärten aus ! Der moderne Vor- sie unwiederbringlich verloren sind,
garten ist meistens zu einer blossen Dekoration herab- Ich habe in dem ganzen Bereich dieser alten Vor-
gesunken. Der alte ländliche Vorgarten ist ein leben- gärten kein einziges Drahtgitter gesehen; wenn es
diges Glied in der ländlichen Daseinsform. Er ist er- nicht die lebendige, von der Schere in Ordnung ge-
füllt von der Blumenfreude oder von einem bestimmten haltene 1 lecke war, so diente der weißgestrichene
Nutzgedanken der Hauseinwohner. Der moderne Vor- Holzzaun als Abschluß und geweißtes Mauerwerk als
garten kann wegfallen und es würde im wesentlichen Sockel oder Einfassung. Darüber hinaus und von Nach-
nichts fehlen; der altheimische Vorgarten kann nicht bar zu Nachbar hängen blühende Sträucher, zwischen
weggedacht werden, ohne dass ein Stück menschliches dem hochstehenden Flieder rieselt der Goldregen in
Dasein zugrunde geht. Der moderne Vorgarten wird schweren Strähnen nieder, und wenn es an der Zeit
selten oder nie betreten; ist, duften die Rosen-
der alte ländliche Vor- B ,<i<^>^ M stocke an der Hauswand,
garten ist ein Stück Woh- I /, , jgh Efeu überkroch Risse und
nung. Der moderne Vor- »|| / // / / 1§M Mauerlöcher, kletterte an
garten entbehrt die Phy- 'Mg '/-^s' / / /// eÜll Baumstämmen hinauf und

siognomie menschlich fai ^^/^-^Y^ //^y j^gjaffl umrankte die Fenster, von

notwendiger und künst- ppa ^^^^"^^-^^^^ 1' %• ifft denen er in langenwehen-

lerischer Gestaltung; der &wl___^SS^^i^^^^^^ ^MS£$M c'en Armen niederhängt.

alte Vorgarten ist ein, z=^^^^^^^^^^ '^0^rM Im Herbst reifte die Wein-
wenn auch bescheidenes W^ßsk traube, die in den meisten
Stück Architektur, das ——==^ai|P^llr5 Höfen über ein dacharti-

aus den Bedingungen des flfiFfw -— WSs^Sa Ses Stabwerk gezogen ist.

Hauses und des Lebens %J-^^m-------'—^SmfS?w ^s dann schön darun-

herauswächst. Der mo- ßSäMst §r!lp-3fir ^er zu sitzen. Dann geht

derne Vorgarten ist für W^~ak ^S^^^^M^^m^^^SHH^r, f* S e'n farbenreiches Verfär-

die Vorübergehenden an- £^J3 'llH 1! IIÄ ff^s^tlt benan. Neben dem dunk-
gelegt; der alte Vorgarten ||Sllf idBlW len Efeugrün erglüht das
ist für die Inwohner ge- Ii ^^Hj llillll SPI!!!!* Purpurrot des Weinlaubes,
schaffen. Der moderne BlIiilB (1 ^wlfllwiilvl!)«flSlfWllIliMiiillfJi^^M eine; späte Dahlie hebt das
Vorgarten ist oft nur Ab- fffl Illw 14 »•! nilll lISIIBSllk müde Haupt traumschwer
sichtlichkeit und Willkür, pi|||||M||| >(.'l x^SE^j^ \'A wy|K|nNH|IfflBHHBHHB aus fahlen Blättern und
der alte Vorgarten ist Iii™ 11 rtlänrimrat Iii fi1'''1:' "11 die zarteren Herbstfarben
Natürlichkeit und Gesetz. filH >' IlllH der Astern schmücken das
Er ist so eins mit den IIB "|$s'J \i '";"''" J-'.Y't

Häusern und mit dem %|■ W^illB'~~'^^^^^^^^-^«^_^^^^^^^^ SIIIhIhBBI m^ emer ^e'^cn Blumen-

weggenommen werden ^^jSISliBllil^-gaiBSs^bfc ^^^^f^'^^M^, Kranz von Sommerblu-

könnte, ..lim- dass das P^^SSlfISPlE=~ HnlH^p^P^ men an der rwitterten

Haus und Dorf ganz zer [j^^^^^ßi^^^SSB^S^b^^,- J^^^^t^.'/L*ii Johannesstatue welkt,

stört würde. ^g^^^^^^^^^^S^^^^^^^^^^%a^^SiaBl schimmert der Edelreif in

Gering und unschein- c u c. j- ,, . u j d- i den Birnen- und Zwetsch-

& Fr. Scherer: Studie zur Umgestaltung des Bismarckgartens

bar sind die schlichten m Heidelberg. Blick in den Heckengarten. genbäumen. Die Stunde,
Häuser, aber ihre Arm- die man auf der Häus-
lichkeit wird durch die Vorgärten mit einem solchen bank in einem Vorgarten verbringt wird kürzer.
Reichtum überschüttet, daß sie festlich dastehen wie Aber das Entscheidende ist, daß man überhaupt
geschmückte Bräute. Wie schmucke Dirnen, den Blu- das Verlangen verspürt, in einem Vorgarten Stunden
menstrauß vor den Brustlatz gesteckt, so mutet das zu verbringen. Es sind schöne Stunden. Man ge-
freundliche Bild an. Ein Spaziergang durch die um- riießt sie mit einer verdoppelten, faßt schmerzlichen
büschten, dorfmäßigen Straßen, auf die das Weingebirge Freude, wenn die Zeit heranrückt, da man auch die
und der Bergwald heruntersieht, gehört zu den herz- Oleanderbäume, die in Kübeln aufgestellt sind, und
stärkenden Genüssen. Es ist nicht nur eine Seelen- die Regale für die kleinen Topfpflanzen aus dem Hof
freude, sondern ist in mancher Beziehung lehrreich, in den Überwinterungsraum schaffen muß. Das alles
Wir wissen, was schöne große Gärten zu bedeuten ist nur ein unvollständiges Inventar der Werte, die ein
haben, und wir kennen die künstlerischen Grundsätze solches altes Vorgärtchen trägt.

ihrer Gestaltung, aber wir kennen nicht das Geheimnis Ich habe nicht an die Singvögel gedacht, die in

dieser winzigen Gärten und ihrer Schönheit, und es den Hecken, Gebüschen und Bäumen am menschlichen

ist beinahe zu fürchten, daß, wenn sie eines Tages Haus nisten. Die Finken und Meisen, das Rotschwänz-
 
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