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Die Gartenkunst — 12.1910

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Migge, Leberecht: Garten-Naturalismus
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0204

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196

DIE GARTENKUNST.

XII, 11

„schön" und „edleren Absichten dienend" zu finden — lediglich
weil wir gleichzeitig spielende Kinder dabei sähen! Genug an
Beispielen, um darzutun, daß die Zwecke in ihrer
höheren Auswirkung eben von Erfindung, vom
„Seelischen" durchdrungen sind. Innerhalb eines
Kulturlebens sind sie beide durchaus aufeinander angewiesen,
aber keines ist des anderen Appendix. Und wenn wir so
unser Genügen beim architektonischen Gartenbilden nach jeder
Seite hin offenbar finden können, so ists doch nur ein wei-
terer natürlicher Schritt selbstbewußten Menschentums solches
Beieinander von Zweck und Rhythmus um seiner
Selbst willen bewuf3t hervorzurufen. Und seine natürlich
wiederum bewußte Steigerung endlich brächte uns in ab-
sehbarer Zeit auch beim Garten zu einer Erlösung und Zu-
sammenfassung des befruchteten Menschenwillens, zu jener
Rundung des dinglichen Geschehens, die wir bei andern Zeiten
ihren Stil genannt haben.

Und was übrigens dasjenige Maß von direkter Natur-
berührung angeht, was der Einzelne durch seinen Garten
haben will und muß, so ist auch das innerhalb des architek-
tonischen Gartens voll gewährleistet. Denn auch der wächst
ja von zartester, rührender Jugend heran zur üppigen Voll-
kraft der Jahre. Auch in ihm knospet und blüht es. Auch
er birgt des Frühlings süße Heitereitei wie des Herbstes flam-
mende Farben. Nur alles viel intensiver, dünkt mich, viel
stärker im Eindruck auf seinen Besitzer — das beglückende
Bewußtsein eigenen Schaffens daran und Erfindens.
Dieser „Arme" weiß auch, daß ihm für den stündlichen Ge-
nuß einer zweifelhaften Landschaft, in der ungeheuer diffe-
renzierten Naturerkenntnis und Beobachtung unserer Tage ein
sicherer Ersatz geworden ist, ein Gut, das ihn vermögend
macht, am Keimen eines Samenkorns die Schöpfung der Welt
nachzuerleben! Was braucht es da der mühselig nachkon-
struierten Schauer einer verblichenen Gartenromantik!

* ♦

*

Man kann es nicht genug variieren. Es ist bei Engelhardt
wie bei andern; der, das tatsächliche Leben heutzutage unter-
drückende ,,se 1 bstherrliche Naturalismus" innerhalb
des Schöpflerischen im Gartenkunstwerk, der das auf welcher
Grundanschauung immer aufgebaute Lehrsystem früher oder
später in Verwirrung bringt. Das kann kein Wunder nehmen,
wenn man bedenkt, daß ein „Geschöpf" ein wahrer Organismus
nimmermehr von zwei im Grunde feindlichen Erkenntnisthemata
zugleich erfüllt sein kann. Immerhin, zu verstehen ist es.
Es liegt ja auch zu nahe, den Versuch zu machen, die irrige
Kräfteauslösung eines Jahrhunderts nicht verloren gehen zu
lassen, in der Meinung, daß das durch direkte äußerliche Fort-
setzung geschehen müsse. Nachdenkliche Menschen, insonder-
heit, wenn sie durch die Lebensorganisation dieser Periode
teilweise noch hindurchgegangen sind, werden sich an irgend
einem Meilenstein ihrer Entwicklung immer einer ähnlichen
Aulfassung gegenübersehen. So wurde auch mir vor Jahren
im raschen Gang der Ereignisse fast plötzlich eine Vorstellung
lebendig, die, ebenfalls neben den Zweckformen Landschaft
in den Garten einbezogen wissen wollte. Nicht japanisch,
nicht ökologisch gesteigert, noch philosophisch - unberührt,
sondern stilisiert: Die Präraffäliten, Ilodler, Ernst Lieber-
mann, die Münchener „Scholle" etc. — um durch einige Namen
den Sinn kurz zu geben Beim „zu-Ende denken" aber, ins-
besondere durch das Hinstellen und Vergleichen, durch prak-
tische Ausübung wurde das ganze luftige Gebäude bald
korrigiert. Heute sehe ich die Möglichkeit der Erfüllung der
Engelhardtschen Grundforderung: die treibende Spannkraft
von Natur contra Kultur (Form) zu nützen, allein durch
einen, unsern architektonischen Garten erfüllt.
So klar, sowohl nach der ethischen, als der rein künstlerisch-
rhythmischen Seite, daß ich mein Leben ruhig darauf ein-
richte.

Bücherschau.

Willy Lange: Land- und Gartensiedelungen. Vierter Band
von Webers illustrierter Gartenbibliothek. Verlag von J. J.
Weber, Leipzig.

Unter dem Titel „Land- und Gartensiedelungen" hat Willy
Lange ein neues Buch erscheinen lassen.

Als vierter Band einer Bücherfolge, die sich an das große
Publikum wendet unter dem Namen Illustrierte Gartenbiblio-
thek, scheint es aufs erste nur autklärenden, informatorischen
Zwecken dienen zu wollen. Lange hat dafür 16 Mitarbeiter,
teilweise bekannte Autoritäten, auf den verschiedensten ein-
schlägigen Sondergebieten gewonnen, und zudem eine Ein-
leitung von Geheimrat Thiel. So besitzt das Buch eine große
Fülle von Material, in den einzelnen Kapiteln meist in kurzer,
schlichter Form zusammengestellt, und erscheint fast als ein
Compendium. Andererseits wiederum hat es mehr den Cha-
rakter einer bloßen Aufsätzesammlung; die 26 Kapitel stehen
selten in innerem Zusammenhang, entbehren sogar einer wirk-
samen Ordnung und Gliederung, und sind plötzlich ohne zu-
sammenfassende Schlußbetrachtung zu Ende. Wir sind aber
gewöhnt, auch für die Form höhere Ansprüche an Werke der
Fachliteratur zu stellen. — Zu der Fülle des Materials sind
auch die zahlreichen ausgezeichneten Abbildungen, großenteils
Wiedergaben aus den angekauften Entwürfen des Rüders-
dorfer Preisausschreibens, zu rechnen. Abgesehen davon, daß
sie Vielen erst den glänzenden Erfolg jenes Wettbewerbes
illustrieren werden, enthalten sie im Großen wie im Kleinen
wertvolle Anregungen, auch da wo sie offenbar die gestellte
Aufgabe verkannt haben.

Das Buch begnügt sich indessen nicht mit einer reinen
Darstellung alles dessen, was zum großen Inhalt des Themas
Gartensiedelungen gehört, es unternimmt aber auch nicht eine
begeisterte Werbung für die auf so bitter reale Nowendig-
keiten gegründete Idee der Gartensiedelung an sich, sondern
alle die Ausführungen der Mitarbeiter und des Einleitenden
dienen ihm im Grunde nur als Operationsbasis für eine be-
stimmte Absicht. Diese deutet sich schon in der Einleitung
des Herausgebers an, holt im ersten Kapitel über „Natur
und Siedelung" kurzatmig aus, um im zweiten Kapitel: „Die
Siedelungsformen unserer Zeit" den Schlag zu führen, der
indessen kaum gelungen ist, und wird dann in den weiterhin
zwischen die Beiträge der Mitarbeiter zusammenhanglos ein-
gestreuten andern Kapiteln noch wiederholt sichtbar. Man
muß erstaunen über die Sorglosigkeit, mit der hier Willy Lange
einen Gedanken in mangelhafter Rüstung in den Kampf der
Welt hinausschickt. Gerade bei seiner Taktik, die so wenig
Freunde findet, weil sie unser ganzes Empfinden verletzt, müßte
er viel gründlicher zu Werke gehen. Er würde unendlich mehr
in seinem Interesse erreichen, wenn er das, was er will, in
einer eigenen knappen Schrift warm und klar und gründlich
ausgeführt hätte, oder es wenigstens in diesem Buche schärfer,
logischer, selber das Für und Gegen vorführend, herausge-
arbeitet hätte, ohne Scheu vor der Kritik seiner Gegner, denen
er auf jede Weise auszuweichen sucht, ohne sich jedoch ge-
legentliche Seitenhiebe zu versagen.

Die Tendenz des Buches ist der Gedanke: Wir müssen
nicht nach Gartenstädten, sondern nach Gartendörfern streben.
Das klingt aufs erste wie ein Streit um Worte. Denn die
Gartenstadtbewegung legt doch den Nachdruck auf „Garten",
nicht auf Stadt. Gartenstadt ist bei der Entstehung des Ge-
dankens der nächstgelegene Ausdruck gewesen, Gartenstadt
als Gegensatz zu Stein- und Mietskasernenstadt. Erst mit der
raschen Entwickelung haben sich auch andere Gesichtspunkte
ergeben und die Bewegung hat sich durchaus nicht auf den
städtischen Grundcharakter festgelegt; das zeigen alle neueren
Gründungen und Pläne. Es bleibt aber stets das Nächste, daß
die Siedelungen, schon aus ihrer planmäßigen Gründung im
Gegensatz zum zufälligen Werden des Dorfes, sich zum städ-
tischen Charakter entwickeln, der sich in seiner Erscheinung
 
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