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Die Gartenkunst — 12.1910

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Migge, Leberecht: Garten-Naturalismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0203

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XII, 11

DIE GARTENKUNST.

195

mir füglich der Genuß des essayistischen Kunstwerkes als
solches unbeschadet.

Seine Ausführungen spitzen sich von allen Seiten auf das
eine Bemühen zu, um dessen Willen das Büchlein offenbar
entstand: Der Natur als Gartenform einen Platz neben der
unabweislichen Sachform zu verschaffen. Meine Einwände da-
gegen stützen sich im Kern auf die mangelnde Notwendig-
keit dafür. Ist diese aber nicht klar erwiesen, so entsteht
unerbittlich Unwahrheit, die unethisch und in ihren Produkten
zum Allerletzten doch auch immer kulturhemmend ist.

„Nur wo das Problem der organischen Verbindung von
Kultur und Natur unbewußt oder bewußt das Programm
der Lebensarbeit durchzieht beginnt die Spannkraft der Per-
sönlichkeit wirksam zu werden," so fundiert Engelhardt.
Das ist eine alte schlichte Wahrheit, und gewiß, es ist nicht
einzusehen, warum sie nicht, wie anderswo auch innerhalb
des Gartenlebens ihre Erfüllung finden soll. Nur eben nicht
auf die einseitige, dieses große Gesetz nur ganz äußerlich
interpretierende Weise Engelhardts und anderer. Die wollen
unter „Natur" hier immer nur ihre zutage liegenden Gegen-
ständlichkeiten und Formkombinationen verstehen, eine Aus-
legung, die, solange und so oft sie angewandt wurde, immer
noch irgendwo auf die nicht wegzuräumende Begrenzung
menschlichen Könnens und die Konkurrenz menschlicher Zwecke
gestoßen ist. Auch Engelhardts sonst oft nadelfeine Folge-
richtigkeit wird kautschukartig, wenn er die Linie zwischen
dem Erlaubten und Unerlaubten hier festlegen will. Unge-
achtet er zum Beispiel vorab entschlossen das Zusammenspiel
der Naturformen so fordert, daß es an keiner Stelle den
menschlichen Eingriff verrate und dadurch beeinträchtigt werde,
erscheint ihm späterhin „die Entfernung einer abgestorbenen
Fichte, ja sogar mehrerer lebender Bäume, ebenso auch die
Ansiedlung einer Pflanzenart aus den benachbarten Bergen
unbedenklich" —„weil die Natur durch Sturm oder zufällige Aus-
saat auch ohne die Menschenhand dasselbe hätte tun können."
Dieses „hätte", dieses „vielleicht" ist allen Vor- und Mit-
läufern eines Engelhardt, wie er sich hier zeigt, gemeinsam.
Es ist bei Allen allemal dazu da, die innere Schwäche des
Aufbaues zu verdecken, so bald sie daran gehen, ihre „Ge-
fühle" zu disziplinieren.

„Natur" ist für so gerichtete Geister an dieser Stelle
immer Landschaft, nur Landschaft. Sie scheinen es nicht
fassen zu können, daß für die Generation der materiellen und
erdgeschichtlichen Erkenntnisse die Vorstellung von Natur
eine andere sein muß, als diejenige solcher, welche Mutter
Erde etwa noch als Scheibe ansahen. Daß Geschlechter, die
Moor und Heide kultivieren, Marschland dämmen, die Erd-
kruste durchbohren, Wässer und Ströme fangen und brechen,
die weite Flächen mit einem Netz von Straßen und Kanälen
durchziehen, Ebene, Berge, Luft und Meer mit ihren Bauten
besetzen, — daß solche Menschen ein gewisses Anrecht und
eine Neugier haben zu fragen: was und wo ist denn überhaupt
„Landschaft" in eurem, sagen wir absolutem Sinne? Ist nicht
Natur als Landschaft etwas im Grunde durchaus Gegen-
wärtiges? Müßten wir eigentlich nicht auch Steinbrüche,
Bahndämme und Schlote dem landschaftlichen Garten wenigstens
theoretisch einfügen, wenn wir erdgeschichtlich ebenso treu
handeln wollen, wie die Väter jenes Stils auf der Wiesen-
insel seinerzeit oder wie die heutigen Japaner, die den Extrakt
ihrer großen Landschaft ohne Abzug einfach räumlich lili-
putanisieren ? ! Nein, die gegenständliche Natur, wie wir sie
sehen, ist durchaus nicht eine „ewig-gleiche", sondern von
Menschenarbeit immer beeinflußt, mitgebildet gewesen; sie
änderte sich mit ihren Menschen.

Gewiß, in solchem Sinne ist es wiederum „wahr", daß
„im Menschenwerk kein Genüge ist und die Natur der erste
Religionsstifter, den die Menschheit kennt". Sicherlich, sie ist
heute noch für jeden innerlichen Menschen göttlich und wir
sollten sie aufsuchen, wo und so oft wir können. Aber wenn
mit „Natur" jener stark akzentuierende ideale Begriff von

„Landschaft" gemeint ist, so soll man deren noch vorhandenen
Wert nicht durch ständigen täglichen Gebrauch prostituieren.
Das durften ohne Schaden von jeher nur besonders Begnadete;
der Landschaft eigentliche Bewohner waren und sind ihr er-
fahrungsgemäß innerlich bewußt am wenigsten nahe. Und eben
weil die Landschaft in der Natur auch heute noch voll Hoheit ist,
so sollen wir sie auch nicht vergötzen. Wir sollen ihr nicht
ein auf alle Fälle plumpes Abbild machen, nur um sie immer
bei der Hand zu haben, um nicht, um zu ihr zu gelangen, jenes
kleinste Maß von Mühen aufzuwenden, das in Wahrheit erst
die letzten Kammern unserer Seele erhebendem Genuß ent-
gegenbreitet. Ich glaube, daß es endlich an der Zeit ist, jene
immer wieder auftauchende und auf die Dauer nicht zu
haltende Fachanschauung von „Landschafts-Natur" ehrlich und
endgültig abzuschütteln.

Engelhardt kommt zu seiner Forderung solcher Natürlich-
keit aus einer, wie ich meine, vorgefaßten Sterilität des
Kultursinnes, der „aktiven Herrscherkraft des Könnes" bei
den Menschen. Soweit dieses selbstverständige Formen der
Umwelt sich direkt und nüchtern auf sachliche Unterlagen be-
zieht, läßt er sichs auch für unseren heutigen Garten gefallen.
Aber — so „beweist" er den inneren Widersinn der Äuße-
rung menschlichen Selbstbewußtseins über das offensichtliche
Zweckbedürfnis hinaus — aber „wie erklärt sich denn die
Anwendung der Kulturform in den Palastgärten eines Lud-
wig XIV?"

Er sieht dort lediglich Herrschsucht „unfruchtbare niedrige
Kulturseligkeit". Andere finden, daß hinter solch gewaltigem
Tun eines ganz Großen oder, für uns näherliegend exem-
plifiziert in den architektonischen Gartenformen etwa der
Renaissance oder deutscher Potentaten, Äbte, Bürger oder
Bauern, doch noch etwas mehr steckt, als bloße Lust am
„selbstgewollten Formen und Gestalten". Uns drängt sich
vor solchen Gartengebilden allenthalben doch noch ein ausge-
reifter, gesteigerter Sinn für die Harmonie der Körper und
Gehalte auf, der über die Befriedigung der praktischen Zwecke
hinaus in reiner Erfindung, allerdings selbstgewollt-logischer
Darstellung auch solcherart die mannigfachen Naturkräfte zur
Entfaltung und Offenbarung bringt. Es ist Kultur im unge-
schmälerten Begriff, was wir in den Gärten früherer
Zeiten finden, jeweils unterschieden nur durch Milieu, durch
Wollen und Befähigung. Kann man das auch vom ig. Jahr-
hundert sagen, das ja anerkannt seit Bestehen einer Kultur-
geschichte die rücksichtslosesten Unternehmer und — die
banalsten Gärten besaß? Diese Zeit hat ja klar erwiesen
was „aktive Herrscherkraft des Könnens" verbunden mit
einem wahren Kult der Natur — also das knappe Programm
Engelhardts — für wirkliche Gartenkultur hat leisten können.

Das ideale Gartenbild unseres Autors will sachlich not-
wendige Formgebilde wohl bestehen lassen, will auch noch
die streng durchgeführte Kulturform als „Sinnbild der Herrscher-
macht" anerkennen. Aber als Drittes und Wichtigstes fügt er,
als gewissermaßen seelisches Ferment, hinzu: Die Natur-
form.

Und deren Notwendigkeit bestreite ich eben.

Denn wir haben auch innerhalb des rein sachlich-archi-
tektonischen Gartenbildens Gestaltungsmöglichkeiten in Über-
fülle, die, mehr als nüchterner Zweckausdruck, in Material-
wahl, Einzelausbildung und Ordnung des Gesamten sich einer
Idee, einem Seelischen unterstellen. Etwa, wenn wir uns
inmitten der verschiedenen Spielplätze eines öffentlichen
Gartens einen farbenprächtigen, vertieft gelegenen Blumen-
garten denken, der das Volk belehren und ihm Herz und Aug
erfreuen soll. Etwa, einen „nüchternen" Verbindungsweg als
Goldregengang ausgebildet, oder ein geräumiges Wasser-
becken „naiv" in graues Gemäuer gefaßt, darüber roter Wein
und Efeu ranken. Oder etwa „nur schattige Linden" als Ar-
kadengang rings um eine sonnige Wiese voll bunten Volks-
lebens; nur Voreingenommenheit und Ästhetenkitzel könnte
uns bestimmen, etwa die Blumen auf dieser Wiese nicht auch
 
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