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Die Gartenkunst — 12.1910

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Schubert, Wilhelm: Geometrische und räumliche Gärten
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https://doi.org/10.11588/diglit.22776#0079

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XII, 5 DIE GARTENKUNST. 71

darzutun. So naheliegend solche Entwickelung nun Ich denke hier vor allem an das Vorlagenwerk von
auch dem oberflächlichen Beobachter erscheint, und so Vredemann de Vries. Da sind in der Tat ,,geo-
selbstverständlich sie für Lange, den Naturwissen- metrische" Gärten; — aber Vredemann de Vries ist
schaftler sein mag, so wenig entspricht sie den Tat- längst als pedantischer Schulmeister erkannt, und seine
Sachen. Denn in aller Geschichte der Kunst ist wohl Architekturen, seine Städtcbilder, seine Inncndeko-
ein ewiges „Stirb und Werde", ein Auf- und Nieder- rationen sind ebenso nichtssagend geometrisch. Von
wallen von größeren und geringeren Leistungen; aber ihnen auf den Charakter der Renaissance-Kunst zu
eine Entwickelung im biologischen Sinne ist nicht da. schließen, hieße, die ganze Blüte unserer Kunst im
An den allerältesten Großtaten einer Kunst kann 16. Jahrhundert überhaupt zu leugnen,
man ihre Gesetze ebenso vollkommen ablesen, wie an Und so ständen wir denn, da uns Bilder nichts

ihren allerjüngsten Werken. Wie denn z. B. in der mehr lehren können, vor hoffnungslosem Nichtwissen;
Bildhauerkunst neben Praxiteles Hermes getrost die wenn nicht eben — noch letzte Reste alter Garten-
Synagoge und Ecclesia" von Straßburg, und diese herrlichkeit für das sehende Auge vorhanden wären,
wieder getrost neben Max Klingers „Beethoven" treten Ich denke an den Garten von Schloß Heidelberg,
kann. Und die Gartenkunst macht
hier keine Ausnahme.

Wenn man dem oben genann-
ten Lehrsätze folgt, so pflegt man
den Garten des deutschen Mittel-
alters als den „urtümlichen", den
der Renaissance-Zeit als den „geo-
metrischen" Garten, den, der unter
den Einfluß Lenotres im Zeitalter
der spätklassischcn Stile entstand,
als den „architektonischen" Garten
zu bezeichnen. Die Schwierigkeit,
welche sich der gerechten Wertung
ältcrerGartenanlagen entgegenstellt,
ist nur, daß sich kein deutscher
Garten unverändert aus dem Mittel-
alter oder der Renaissance-Zeit er-
halten hat. Wir sind auf Bilder an-
gewiesen, und da die Bilder in der
Zeit der unausgebildeten Perspek-
tive „geometrisch" sein mußten, so
wurden es auch die dargestellten
Gegenstände.

Es ist eine Kunst und nicht
leicht zu erlernen- in alten Bildern Schlossgarten in Darmstadt: Blick aut den Heckengarten.

zu lesen. So liebevoll die alten

Meister in der Darstellung des Einzelnen waren, so wenig Seine Gcsamtanlage ist noch vollständig erhalten, nur
gelang ihnen die Zusammenfügung aller Teile zum bis zurUnkenntlichkcit entstellt durch dichteBepflanzung
Ganzen. Eine Hand auf einem Bilde van Eycks mit Gehölzen in späterer Zeit. Die Alten dachten
mag wundervoll bis ins letzte durchgebildet sein; nie darin logischer; sie wollten nicht in ihren Garten ein
tritt sie ins rechte Verhältnis zum ganzen Körper. Wäldchen schaffen, da ihnen doch der große wunder-
Und so ist auch der Rosenhag, in den Meister Wilhelm volle Hochwald vom Königstuhl her bis auf den Schloß-
seine Madonnen einsetzt, nur eine Zusammenfügung hof hernieder hing. Jetzt hat man ein dendrologisches
von einzelnen Rosen, nicht ein Garten zu nennen. Als Museum aus dem Garten gemacht, als ob man dazu
nun in der Folgezeit die Kunst der Perspektive erlernt der gewaltigen Terrassen bedürfte. Und die Natur
wurde, da führte die Freude am Konstruieren erst recht hat diesen Widersinn furchtbar gerächt. In dem warmen,
zur schematischen Behandlung. Selbst Albrecht Dürer waldgebetteten Winkel der Terrassen sind die Bäume
ist hiervon nicht frei, und manche seiner Zeichnungen, in die Höhe geschlottert wie Krautpflanzcn im über-
z. B. die „Melancholia", wirken nur deshalb so fremd hitzten Mistbeet. So stehen jetzt Eichen, Ahorne und
auf uns, weil sie schematisch mit Zirkel und Schiene Nadelhölzer einträchtig nebeneinander, recken ihre
konstruiert sind. kahlen, dürren Stämme charakterlos zur Höhe und
Wenn das bei unserem größten Meister geschah, wären gar nicht zu unterscheiden, wenn nicht die
um wieviel mehr mußte es den kleinen Geistern an- Gartenverwaltung vorsorglich Namenschildcr angebracht
kommen, die uns Gartenvorlagen hinterlassen haben, hätte.
 
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