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994

Petrick, über Christenthum und Geist der Zeit.

des zweiten Bändchens, wie Vieles darin ganz anders seyn sollte,
oft stark und eifrig. Wären nur wenigstens unsere Katechismen,
als Volhsbiicherchen, mehr Aufmunterungsmittel zu moralischer
Religiosität, als popularisirte Dogmatiken, oder behauptende Schrif-
ten voll Meinungen über Dinge, welche, ob wir sie wissen oder
nicht wissen, sind oder nicht sind, ohne dafs sich dadurch für
uns im Wesentlichen etwas ändern kann.
Im dritten Theil: »Ueber den Geist der Zeit in Be-
ziehung a uf Religi o n,« wird in Beziehung auf das, was wir
unsre Welt und Zeit nennen mögen, d. i. in Hinsicht des
cultivirteren Theils von Europa und etwa auch von Nordamerika,
gezeigt, dafs gewifs Viele für einen mehr von Vorurtkeilen be-
freiten , sittlich bessernden und vernünftig auf klärenden Religions-
glauben empfänglich wären und sogar dessen zur Verbesserung
unsers ganzen sittlichen und politischen Zustandes und Gesanamt-
lebens sehr bedürftig sind. Dadurch aber kommt der Verf. wie-
der zu einer zur Hälfte fehlgegriffenen Behauptung: der Staat
solle und müsse die — moralisch - religiöse, genial belehrte —
Kirche selbst seyn und werden (§. 23.)! anstatt dafs die wahre
Forderung ist: Die äufsere Verfassung der bürgerlichen Gesell-
schaften soll der Boden seyn, auf welchem durch äufsere, ge-
setzlich erzwingbare rechtliche Sicherheit die Ausübung der gott-
gemäfsen innern = aus Ueberzeugung freigewollten Rechtschaf-
fenheit, d. i. der ächtmoralischen Religiosität, möglich und leichter
gemacht wird. Daraus folgt, worauf auch der Verf. mit rühm-
lichster Freimüthigkeit dringt, dafs der Staat alle Einrichtungen,
welche die Moralität erschweren, aus menschenwürdiger und christ-
licher Gewissenhaftigkeit durchaus und unbedingt aufgeben sollte.
Wichtig sind_ viele solche Stellen, wo so manches zur Immora-
lität und praktischen Irreligiosität führende Contagium der Po-
litik nicht geschont wird. Aber durch den doch zur Hälfte fehl-
greifenden Satz, dafs Kirche und Staat Eines seyn müfsten,
entsteht endlich S. 72. sogar der Ausruf: »Man zwinge nicht
weniger die grofsen Kinder zur Kirche, wie die kleinen
zur Schule!« So weit führt die genial gewagte, der Urtbeils-
kraft nicht genug untergeordnete Begriffsvermischung, wie wenn
eine Ueberzeugungsanstalt eine Zwangsanstalt werden könnte.
In der ganzen Schrift — Dies bleibt als erfreulicher Total-
eindruck! — ist soviel ächte Genialität und rechtwollendes Streben
nach Vorurtbeilsfreiheit, dafs sie, ungeachtet all unserer Gegen-
bemerkungen, den Aufmerksamen einen reichen Stoff zum Nach-
 
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