Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1190 Kitgen, Baustüeke einer Vorschule zur allg. Krankheitslehre.
Stellungen, und sieht sowohl die Welt der Kräfte, als die der
Stoffe, zu ihren Füfsen liegen. Ihre Vorstellungen existiren aber
äußerlich als Scheinleiber aus feinsten Stoffen, und wirken unter-
einander und nach aufsen als Kräfte, sind also Bild, Stoff und
Kraft in eins.
Es wäre voreilig, diese vom Verf. nur erst in rohester Skizze
hingeworfene Theorie als eine Wahrheit bejahen zu wollen. Aber
sie ist sicher, wenn man sie als regulatives Princip zu künftigen
Forschungen betrachtet und nach Umständen Verbesserungen mit
ihr vornimmt, fähig, allen anderen bisherigen psychologischen
Hypothesen durch ihre durchgreifende Energie, durch ihren grofs-
artigen Blick in den Gesammtbau des Lebens den Bang abzulaufen.
Auch empfiehlt sie sich dadurch, dafs bei ihrer Annahme die Ge-
schichte der Philosophie ein gesetzmäfsiges allmähliges Entdecken
der wahren Natur der Seele darstellt, nach den Begriffen Stoff,
Kraft und Bild. Denn sämmtliche Philosophen vor Sokrates
waren darin einverstanden, dafs die Seele in einem höchst flüch-
tigen Stoff bestehe, welcher aus dem peripherischen Unendlichen
eingesogen würde, und indem er aus den Sinnorganen gegen die
Objekte anstrahle, die Wahrnehmungen oder Scheinleiber (eidojXa)
hervorbringe. Von Sokrates bis auf heule hat die Theorie, die
Seele als eine oder mehrere oder beliebig viele Kräfte zu denken,
geherrscht Aber die dritte Ansicht, welche die Seele aus einem
Organismus von Ideen oder Vorstellungen bestehen läfst, und
welche bei Plato, Cartesius, Locke, Berkeley, Hegel, Herbart,
Beneke u. A. heftige, ja convulsivische Anstrengungen gemacht
bat, sich emporzuarbeiten, hat darum noch nie in reiner abge-
schlossener Gestalt sich Bahn brechen können, weil das Paradoxon
einer Kraft ohne Stoff noch immer erträglicher und anhörens-
werther erschien, als das "Paradoxon eines Bildes ohne Träger.
Bedenkt man aber gemäfs dem Vorigen, dafs die Bilder oder
Ideen in jedem Augenblick auf Veranlassung sich selbst als Kräfte
und selbst als Stoffe erweisen, so ist die Gefahr, sich durch jenen
Platonischen Idealismus in’s Unbestimmte zu verflüchtigen, so sehr
verschwunden, dafs wir eben durch ihn der Seele sogar ihre
langentbehrte Stofflichkeit wieder vindiciren, indem wir zugleich
die hochbewunderte, aber so wenig mit Vortheil benutzte Plato-
nische Ideologie ihrem Nebel entreifsen und zum Werkzeug em-
pirischer Forschung und präcisen Calculs erheben.
C. F o r 11 a ff e.
 
Annotationen