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Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch.

eher nach dem Muster der lateinischen Hymnen dem
Vaterlande eine christliche Dichtersprache schuf, wurde ein Wohl-
thäter des Volkes und dieser Mann war Otfrid“, über dessen Le-
ben der gelehrte Autor einige spezielle und interessante Züge an-
zugeben weiss, welche bisher auch den erschöpfendsten Untersuchun-
gen entgangen sind.
Der Autor kennt nämlich wohl Otfrids Heimath und Familie
ebenso wenig als Andere, er weiss aber bestimmt, dass er armer
Leute Kind gewesen. „Otfrid spricht nämlich, sagt er, von seiner
armen Mutter“. Diese Behauptung Otfrids findet der Uebersetzer
in den folgenden Worten des Eingangsgebetes (I. 2, 12):
Wola druhtin mtn, iä bin ih scalc thin,
thiu armä muater min, eigan thiu ist si thin,
welche er merkwürdig genug mit:
Herr nimm mich an, ich bin dein Knecht, dein eigner Mann,
Die arme Mutter mein, sie ist dein eigen, ist schon dein
übersetzt, wobei freilich Niemand begreift, wofür der Autor: wola
gehalten hat, und wobei er: thiu—ancilla mit thiu—ea verwechselte.
Leider aber liegt in diesen Zeilen keine Angabe über die pecuniären
Verhältnisse der Eltern des Weissenburger Mönches, sondern nur
eine auch dem Kurzsichtigsten leicht erkennbare Anspielung auf die
Worte des Psalmes 115, 16: 0 Domine, quia ego servus tuus; ego
servus tuus et filius ancillae tuae.
Der Verf. weiss ferner, dass Otfrid die Domschule in Constanz
besuchte, und mehrere Abteien Alemaniens bereiste. Die
erste Annahme ist aber mehr als zweifelhaft, und die zweite Be-
hauptung nichts als eine Phrase, die jeder auch der leisesten Be-
gründung entbehrt, ebenso wie der Satz: „Ein Buch Gedichte und
drei Bücher über die Psalmen von Otfrids Hand sind verloren“. Ein
verzeihlicher Irrthum früherer Zeiten hat dieses allerdings behauptet,
allein wie jeder Anfänger weiss, ist diese Annahme seit langer Zeit
abgethan. Aus dem armseligsten Compendium hätte sich der Ue-
bersetzer belehren können, dass von Otfrid nichts auf unsere Tage
gekommen ist, als sein Evangelienbuch, in dem er Christi Leben
und Lehre darzustellen beabsichtigte.
„Er brauchte hiebei, meint der Verfasser, seinem seit Jahrhun-
derten christlich gewordenen Frankenvolke, das er so begeistert liebte,
das Christenthum nicht, wie der Sänger des Heliand als eine Neuig-
keit (?), die sich gar wohl mit dem germanischen Volksthum in Ueber-
einstimmung bringen lasse, zu empfehlen, sondern er wollte das
deutsche Christenthum, ja das ganze deutsche Volksbewusstsein von
seinen rauhen, heidnischen Anklängen läutern, ohne seinem dichteri-
schen Bewusstsein wehe zu thun, wie es Ludwig der Fromme ge-
than, der das heidnische Volksepos zu stürzen suchte, ohne ihm et-
was Besseres zu bieten, bis der Heliand den ersten Ersatz, aber
noch in der altheidnischen Form bota, Wenn der Autor dieses bunte
 
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