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Nr. 12, HEIDELBERGER 1859.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch.

(Schluss.)
In Zeile 6 endlich hat er weder die Wörter noch die Con-
struction verstanden. Der Satz ist abhängig, und sagt nur aus,
was die Jünger thun wollten. Sie wollten dem Herrn eine Wohn-
stätte bereiten, — sie richteten aber keine Hütte ein, und wohnten
dort nicht mit ihm allein. Das hätte der üebersetzer, wenn er über-
haupt etwas einsehen kann, schon aus der Bibel einsehen müssen,
wo es Lucas 9, 33 heisst: praeceptor, bonum est, nos liic esse; et
faciamus fria tabernacula, unum tibi et unum Moysi et unum Eliae.
— Ferner ist: mit unredinon gar nicht übersetzt, wenn es nicht
etwa heissen soll: Sie richten die Hütte ein!
Ich habe in meiner Ausgabe des Otfridschcn Evangelienbuches
auf sorgfältige Interpunktion des Textes gebührendes Augenmerk
verwendet, und glaube dadurch einem richtigen Verständniss des
Textes nicht unwesentlich vorgearbeitet zu haben. Der Üebersetzer
hat aber meine Ausgabe wahrscheinlich nur dem Titel nach gekannt,
auf keinen Fall aber beachtet, sonst hätte er ja aus meiner Inter-
punktion sehen müssen, dass die oben besprochenen anderthalb
Langzeilen Parenthese sind, und er hätte unmöglich die Hälfte da-
von zu einem Satze, zu dem sie nicht gehört, ziehen können. Auch
an anderen Stellen hätte er die Construction unmöglich so widersin-
nig verdrehen und ausrecken können, wenn er meine Ausgabe zum
Grunde gelegt hätte. Man vergleiche z. B. nur III. 13, 31fgg.
Der Autor scheint sich indess, wie ich schon oben zu bemerken
Gelegenheit hatte, überhaupt nicht um diejenigen Werke gekümmert
zu haben, welche entweder in der älteren oder neueren Zeit über
Otfrid erschienen sind, sondern in jeder Beziehung unvorbereitet an
seine Arbeit gegangen zu sein. Nicht einmal die paar Worte, die
er in der Vorrede über die Ausgaben anführt, beruhen auf eigener
Kenntniss und Anschauung derselben, sondern sind flüchtig aus Graffs
Vorrede (p. XIV) abgeschrieben, dabei aber versehen worden, dass
die Ausgabe Schilter-Scherz nicht 1776, sondern schon 1726 er-
schienen ist.
Man hätte glauben sollen, dass der Autor doch wenigstens jene
Werke kannte und sorgfältig benützte, welche seine Arbeit wesent-
lich erleichtern, und zu einer einigermassen erträglichen Lösung
seiner Aufgabe beitragen mussten. Allein auch sie hat er nicht
beachtet, oder vielmehr, wie es mir scheint, nur dem Titel nach
LII. Jahrg. 3. Heft. 12
 
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