Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178

Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch.

d. h. also gar nicht gekannt. Wie Jeder weiss, haben Schiller und
Scherz theils mit, theils ohne ihre Schuld allerdings keinen den An-
forderungen der Kritik genügenden Text herzustellen vermocht, und
in den Anmerkungen und der Uebersetzung den wahren Sinn Ot-
frids unzählige Male verkannt, allerdings haben sie das Dunkle
nicht aufgehellt, und keine Uebersetzung geliefert, welche denen,
die der Sprache des Originals nicht mächtig sind, das Original zu
ersetzen, oder überhaupt einem richtigen Verständniss des Textes
vorzuarbeiten im Stande ist. Sie sind aber nicht ohne Beruf und
Kenntnisse an die Arbeit gegangen, haben, mit lebhaftem Bedauern
erfüllt, dass sie nicht alle Hülfsmittel in ihren Bereich ziehen konn-
ten, Alles benützt, was ihnen zugänglich geworden war, und wo-
durch sie ihr Werk einer grösseren Vollkommenheit näher führen
zu können glaubten. Sie haben daher auch eine Arbeit geliefert,
welche ihrem Fleisse, und in Anbetracht des damaligen Standpunk-
tes der deutschen Philologie auch ihren Kenntnissen keine Schande
machte. Namentlich den leichteren Theil des Gedichtes, dem die
Parallelen der Bibel zur Seite gehen, haben sie im Ganzen meist
richtig verstanden und übertragen. Wie unendlich willkommen hätte
also dem Autor, der in seiner Uebersetzungsangst alles Schwierige
entweder völlig wegliess oder durch Phrasen ersetzte, und sogar
mit dem ausgewählten leichteren Theile nicht zu Stande kommen
konnte, diese Uebersetzung von Schilter-Scherz sein müssen? Der
Apostel Philippus fragte den Eunuchen der Königin Kandaces, als
er ihn lesend traf: Putasne, intelligis, quae legis? — Quomodo
possum, si non aliquis ostenderet mihi! antwortete er, und war hoch
erfreut, als ihm Philippus erklärte, was er nicht verstand. Ganz
ebenso ging es dem Autor, der wohl Otfrid vor sich hatte, aber
nichts von demselben verstand, und wie froh hätte er sein müssen,
an der Arbeit von Schilter-Scherz wenn auch keinen fehlerfreien,
aber doch einen erträglichen und verständigen Interpreten gefunden
zu haben? Er hätte mit Eifer und Ausdauer versuchen müssen,
an ihrer Hand in den Sinn Otfrids, dessen Werk für ihn ein mit
sieben Siegeln verschlossenes Buch war, einzudringen, oder wenn
ihn dies eine zu schwierige und langweilige Arbeit dünkte, und wenn
er mit der Uebersetzung Eile hatte, einfach die Uebersetzung von
Schilter-Scherz wieder übersetzen und sich an dem althochdeutschen
Texte gar nicht gewaltthätiger Weise vergreifen sollen. —
Indess der Autor kannte die Schilter-Scherzische Ausgabe nicht,
und wusste nicht, dass sie eine Uebersetzung enthalte. Jedenfalls hat
er sie, wie eine Vergleichung deutlich genug zeigt, nicht beach-
tet. Schilter hat z. B. auf S. 183 den oben zuletzt angeführ-
ten Satz richtig als Parenthese erkannt, und in Klammern
ein geschlossen, und der Autor hätte also auch aus Schilter
sehen müssen, was er aus dem Texte nicht begriff. Auch alle seine
unbegreiflichen Fehler hätte er aus Schilter verbessern und über-
haupt die Bedeutung der Wörter ersehen können, wenn es ihm un-
 
Annotationen