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Nr. 5. HEIDELBERGER 1859-
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Zw Sophokles Antigone. Von G. Thudichum. Darmstadt 1858. Gedruckt bei
Leopold Dielzsch. 43 S. in 4.
Bei dem grösseren Interesse, welches, in Folge der Verpflanzung der An-
tigone auf die Bühne der neueren Zeit, sich unter den verschiedenen noch
erhaltenen Stücken des Sophocles, gerade an dieses Drama sich knüpft und
selbst eine grössere Beachtung desselben bei der Lectiire auf unseren Schulen
hervorgerufen hat, wie diess die von diesem Stücke zahlreicher ausgegangenen
Bearbeitungen zeigen können, wird die richtige Auffassung des Ganzen wie
das richtige Verständniss des Einzelnen von um so grösserem Gewicht sein
müssen, als in Beidem die Ansichten der neueren Bearbeiter und Ueber-
setzer dieses Stücks noch vielfach auseinandergehen und es noch keines-
wegs zu einem allseitigen Verständniss, wenigstens über die Hauptpunkte,
die hier in Betracht zu ziehen sind, gekommen ist. Unter diesen Umständen
wird die vorliegende Abhandlung um so mehr eine Beachtung verdienen, als
sie von einem Manne ausgegangen ist, dem die genaueste Bekanntschaft mit
dem Dichter selbst nicht abzusprechen ist, der sich als einen gründ-
lichen Kenner der Sprache desselben wie geschmackvollen Bearbeiter und
taktvollen Kritiker bewährt hat. Seine Aufgabe hat er aber selbst als eine
solche bezeichnet, die zunächst die Würdigung der Charaktere und Antriebe
in dieser Tragödie feststellen, dann aber auch den Text gegen Aenderungen
und das Ausstössen vermeintlicher Interpolationen schützen soll. Hiernach
zerfällt das Ganze in zwei Theile, deren erster von der Entstehung und Be-
deutung des Gedichtes handelt, der zweite mit der Kritik und Erklärung des
Textes einer Reihe von einzelnen Stellen sich beschäftigt. Wenn in dem er-
sten Theile insbesondere die Ansichten von Böckh und Schwenk besprochen
werden, so sind es im zweiten insbesondere die maasslosen Verdächtigungen,
wie sie in neuester Zeit gegen eine grosse Anzahl von Versen erhoben wor-
den sind, welche den Gegenstand der Erörterung bilden. Die von dem neue-
sten Uebersetzer des Stücks geltend gemachten politischen Beziehungen, aus
welchen die Fassung des Ganzen hervorgegangen sein soll, erscheinen dem
gesunden Blicke des Verfassers als solche, die eine poetische und eine mo-
ralische Unmöglichkeit in sich schliessen. Es streitet (wird hinzugesetzt)
gegen das Wesen des dichterischen Schaffens in der Tragödie, die Anlage
eines Gedichtes für einen politischen, also einen Nebenzweck zu machen, oder
auch nur an einzelnen Stellen Seitenblicke nach Personen und Zeitumständen
zu thun und Partheiabsichten zu verfolgen. Sittlich unmöglich aber ist es,
dass Sophokles, welcher des Perikies Politik missbilligt, und sein Beharren
dabei für eine Versündigung gehalten haben soll, als der erhabene Mann an
der Leiche seines Sohnes geweint hatte, als seine Kraft und Gesundheit ge-
brochen war, in dem schuldigen und trostlosen Kreon der Antigone den Athe-
nern ein Spiegelbild ihres edlen und hochherzigen Führers habe Vorhalten,
LIL Jahrg, 1, Heft, 5
 
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