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Nr. 11. HEIDELBERGER 1859.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Otfrieds von Weissenburg Ev angelienbuch. Aus dem Althoch-
deutschen übersetzt von Georg Rapp. Stuttgart, Verlag von
Samuel Gottlieb Liesching. 1858. XI u. 155 Seiten. Quer 8.
Der Verfasser, der, wenn ich mich recht erinnere, mit einer
Uebersetzung des Heliand debütierte, versuchte sich, wahrscheinlich
durch die Verwandtschaft des Inhaltes bestimmt, auch an einer Ue-
bertragung der oberdeutschen Evangelienharmonie. — Wer das Buch
durchblättert oder liest, ohne das Original zu kennen, oder wer von
demselben ebenso wenig versteht, wie der Uebersetzer, mag aller-
dings glauben, dass es eine vollständige, das Original mit erforder-
licher Treue und Genauigkeit wiedergebende Uebersetzung ist; wer
aber den Text Otfrids kennt, fühlt sogleich, und wenn er auch nur
Eine Seite flüchtig gelesen haben sollte, ohne alle Vergleichung mit
dem Althochdeutschen heraus, dass der Autor an seine Arbeit ohne
allen und jeden Beruf und ohne die allergeringsten Kenntnisse im
Althochdeutschen ging, dass er auch nicht, die einfachsten Formen
erkannte, nicht die leichtesten Stellen verstand, und desshalb natür-
lich ein Machwerk lieferte, wie die Literaturgeschichte Gott Lob seit
langer Zeit keines mehr aufgewiesen hat.
Das elf Seiten lange Vorwort, dem man Unwissenschaftlicbkeit
und Flüchtigkeit schon von aussen anmerkt, enthält eine Reihe un-
verdauter Redensarten und vollkommen unrichtiger Bemerkungen in
so buntem Gemisch, dass es schwer ist, demselben zu folgen, und
den Inhalt desselben, wenn überhaupt von einem Inhalt zu reden
erlaubt ist, in Kürze anzugeben. Es wird begonnen von der Macht
der christlichen Kirche, sodann erwähnt, „dass Ludwig der Deut-
sche Deutschland aus der zerfallenden, unnatürlichen Weltmonarchiö
seines Grossvaters rettete“. In dieser Zeit dichtete Otfrid; etwa 40
Jahre früher war der Heliand entstanden, „in der uralten Form der
heidnischen Gedichte mit locker gehaltenem Stabreim, den
kein Schlussreim und kein Strophenbau beherrschte, sondern den nur
der Gleichklang einzelner Consonanten oder Vocale zusammenhielt,
so dass er schwer gesungen werden konnte.“ — Mit christlicher
Milderung der Sitten musste das Bedürfniss eines reinen, melodischen
Ausdruckes der Volkspoesie erwachen. „Diese Form der Dichter-
sprache ist bis heute geblieben. Die Kirche hatte seit dem fünften
Jahrhundert lateinische Elymnen in vierzeiligen gereimten Strophen,
das Volk konnte aber in diese Strophen nicht einstimmen, wollte da-
her selbst solche haben, und als ihm der Wunsch gewährt wurde,
erzeugte sich ein Schatz von Volksliedern und Volksmelodien , der
unserem Volk zu einer lyrischen Poesie half.“ — „Der Mann, wel-
LII. Jahrg. 3. Heft, 11
 
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