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Nr. 4. HEIDELBERGER 1859.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Das alte und das neue Russland*
Auf diese Weise hat ein sehr achtbarer russischer Schriftsteller
die beiden Bände seiner Geschichte der Civilisation in Russland ab-
getheilt, die unter folgendem Titel zu Paris erschienen ist:
Essai sur l’histoire de la Civilisation en Russie par Nicolas de
Gerebtzoff. 11. Tom. p. 544 et p. 638. Paris chez Amyot. 1858.
Der Verfasser schickt voraus, was er unter Civilisation versteht,
und findet bei den Engländern zwar bei weniger allgemein vertheil-
tem Unterricht, viel praktischen Verstand, als Nation aber zu viel
Egoismus; bei den Franzosen grosse Unwissenheit im Allgemeinen,
selbst Aberglauben, die Bildung in den höheren Schichten aber
ungeordnet, daher stets unruhig, nur einig, wo es auf National-
Eitelkeit ankommt. Bei den Deutschen findet er die meiste Bildung
und dieselbe im besten Einklänge mit wahrer Humanität. Beach-
tenswerth ist es, wie dieser russische Gelehrte nach vaterländischen
Quellen die Vorzeit seines Volkes darstellt. Nach ihm hat ein acker-
bauendes und handeltreibendes friedliches Volk, das er Slovenen
nennt, an der Wolga, südlich bis Kiew, und nördlich bis an die
finnischen Völkerschaften an der Ostsee in Gemeinden vereinigt
gelebt; nicht wie die Deutschen nach Tacitus vereinzelt, uti nemus,
uti fons placuit, weshalb die Russen von mehr friedlicherem Wesen
waren. Von der Völkerwanderung waren sie weniger berührt, da
diese mehr die südlich von Moscau und Kiew liegenden Länder
betraf, wo das grosse Gothenreich des Hermanrich von dem schwar-
zen Meere bis zur Ostsee sich erstreckte, welches Volk unter dem Na-
men der Gethen und Dacen nach Tacitus von den Germanen nur
montibus et mutuo metu geschieden war. Durch die Völkerwande-
rung getrennt zogen die christlichen Gothen als Ost- und West-
Gothen nach Italien und Spanien, die heidnisch gebliebenen wurden
nach dem Norden getrieben, wo sie ein neues West- und Ostgoth-
land und ein neues Dacien stifteten, denn Dänemark behielt noch
bis zum 15. Jahrhundert den Namen Dacia, bis Dania gewöhnlicher
wurde. In welchem Verhältnisse die Slovenen sich befanden, welche
in dem Freistaate Novogrod ihren Vereinigungspunkt hatten, wird
hier zwar nicht erwähnt, bis Gostomysl, das Haupt dieses Freistaa-
tes, vor seinem Tode den Rath gab, einen Fremden, einen Weisen
von unserm Stamm an die Spitze der Verwaltung zu berufen, mit
Beibehaltung der eigenen Gesetze.
Der Verfasser beweist, dass damals, in der Mitte des 9. Jahr-
hunderts, sein Volk bereits einen nicht unbedeutenden Grad der
JJI. Jahrg. 1. Heft. 4
 
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