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Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch.

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statthaft schien, ein Wörterbuch anzuschaffen, oder zu zeitraubend
und umständlich die Wörter aufzusuchen. Dass er die Uebersetzung
von Schilter-Scherz gekannt, und doch nicht benützt habe, kann ich
unmöglich annehmen, abgesehen von anderen Gründen schon dess-
halb nicht, weil er ja doch einsehen musste, dass es bequemer ist,
nach einer Uebersetzung zu übersetzen, als den Sinn zu errathen.
Wenn er aber etwa die lateinische Uebersetzung desshalb nicht ge-
braucht haben sollte, weil er den ahd. Text noch besser verstand,
so kann ich das nicht wissen.
Es kann demnach keinem Zweifel unterliegen, dass der Ueber-
setzer nach der Graff’schen Ausgabe arbeitete, gerade also nach
jener, welche für das Verständniss des Textes durch nichts gesorgt,
nicht einmal eine Interpunktion gegeben hat, und dadurch selbst
Kennern des Althochdeutschen Unbequemlichkeiten bereitet, ge-
schweige denn Jemanden, der vom Ahd. nicht mehr weiss, als der-
jenige, der es zu lernen anfängt. Wenn nun Jemand von der
Sprache, aus der er übersetzt, von vorn herein nichts versteht, wenn
Jemand überhaupt durchaus keinen Fleiss anwendet, um mit Hülfe
eines Lexikons so viel wenigstens aus dem Texte herauszubringen,
als sich auf mechanischem Wege bei völligem Mangel alles tieferen
Verständnisses der Sprache herausbringen lässt, und ausserdem auch
nicht einmal die Werke, welche sein Beginnen wesentlich unter-
stützen und seine radicale Unwissenheit einem flüchtigen Beobachter
momentan wenigstens verdecken konnten, kennt oder wenigstens
nicht benützt: — so ist es natürlich nicht wunderbar, wenn die
Uebersetzung zu einem kaum begreiflichen Zerrbilde des Originals
umgewandelt wird, und eine zusammenhängende Reihe von unglaub-
lichen Fehlern und Missverständnissen bildet, aus der ich oben im
Speciellen eine flüchtige aber sicher männiglich befriedigende Blu-
menlese gegeben habe. Das aber ist und bleibt wunderbar, wie
es Jemand wagen konnte, so ohne allen Beruf, ohne alle
Kenntnisse, ohne allen Fleiss und guten Willen, zu leisten, was er
zu leisten im Stande gewesen wäre, an eine Uebersetzung des an-
erkannt schwierigsten althochdeutschen Denkmales zu gehen, das
ist und bleibt wunderbar, wie Jemand, nachdem er mehr als die
Hälfte des Originals ausgelassen, den Rest schmählich verstümmelt
und überhaupt alles Mögliche aufgeboten hat, um das Werk des
Dichters völlig unkenntlich zu machen, ein solches Produkt für eine
Uebersetzung entweder halten oder ausgeben, und glauben konnte,
dass er durch eine solche Arbeit den Genuss des Originales jenen,
die nicht althochdeutsch verstehen, ermöglicht und das Gedächtniss
des Dichters empfohlen habe. — Um so etwas thun zu können,
muss man nothwendig eine von zwei Eigenschaften besitzen.
Hoffentlich hat sich aber Niemand das Andenken Otfrids durch
dieses Machwerk empfehlen lassen, das mit Otfrids Werke äusser et-
lichen, zum Theil sogar missverstandenen Reminiscenzen eigentlich
nichts gemein hat, als den Gegenstand, daher auch von dem
 
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