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Voigt: Lehre vom ius naturale u. ß. w.

real und objectiv, die Billigkeit nur als Reflexion, als Gedanke exi-
stire und demnach bloss einen subjektiven Charakter habe. Das
Urtheil kann sich zu den bestehenden Gesetzen billigend oder miss-
billigend verhalten. Allein nicht jede Missbilligung enthält den Aus-
spruch der Unbilligkeit. Diesen Unterschied hat der Hr. Verf. nicht
gehörig beachtet. Die Reflexion kann sich auf die logischen Ei-
genschaften eines Gesetzes, seine Unbestimmtheit, Unklarheit, seine
Inconsequenzen u. dgl. beziehen. Eine solche Beurtheilung enthält
eine Missbilligung, ohne dass der Begriff der Unbilligkeit Anwen-
dung findet. Wenn Gesetze veralten, und der Geist der Zeit neue
und andere verlangt, so wird die Erhaltung der frühem als zweck-
widrig und widersinnig bezeichnet, ohne dass denselben Unbilligkeit
zum Vorwurf gemacht wird, sie müssten denn mit den geläuterten
Humanitätsprincipien in Widerspruch stehen. Denn nach dem Sprach-
gebrauch wird mit der Unbilligkeit immer eine gewisse Hintan-
setzung oder Verletzung dieser Principien ausgesprochen, und die-
selbe hat insoweit einen moralischen Charakter. Wenn ein Gesetz
Ungleichheiten in den dinglichen oder persönlichen Verhältnissen
unberücksichtigt lässt und demnach Ungleichartiges einer und der-
selben Regel unterwirft, oder umgekehrt für gleichartiges verschie-
dene Grundsätze aufstellt, so wird die Missbilligung in der Regel
auch den Vorwurf der Unbilligkeit in sich schliessen; denn derartige
Bestimmungen sind mit der Rechtsidee unverträglich. Enthält das
Gesetz in seiner Anwendung auf einen concreten Fall eine Unbil-
ligkeit, so kann dieses ein Fehler des Gesetzes sein. Hat der Ge-
setzgeber diesen Fall nicht bedacht, so wird die durch die Anwen-
dung bervorgerufene Reflexion nicht mit derjenigen identisch sein,
welche der Abfassung des Gesetzes zu Grunde liegt. Es ist aber
auch gedenkbar, dass das Gesetz an sich nicht unbillig ist, indem
es als allgemeine Regel nicht auf alle denkbaren von singulären
Umständen abhängige Fälle eingehen kann, wenn es nicht seinen
Charakter als Regel verlieren soll. Dass die Eintreibung einer
Schuld unter gewissen Umständen unbillig und inhuman sei, leidet
keinen Zweifel: das Gesetz kann sich aber nicht auf alle durch In-
humanität modificirten Ausnahmen einlassen, ohne die gehörige Hal-
tung und Bestimmtheit einzubüssen.
Einen den blossen Buchstaben und die nationale Beschränktheit
überschreitenden Charakter, mithin insoweit den Charakter der Hu-
manität, welcher dem wahren Wesen des Rechts entspricht, trägt
auch die römische aequitas an sich, deren Stellung zum Recht frei-
lich eine andere ist, als die der Billigkeit nach unsern Begriffen,
wie der Hr. Verf. selbst bemerkt. Derselbe hebt zugleich hervor,
dass von dem Moment, wo die Lehre vom ius naturale allgemeiner
von der Wissenschaft aufgenommen ward, dieses mit der aequitas
identificirt worden sei. Das Humanitätsprincip, auf welchem eben
auch das ius naturale beruht, wurde allerdings mehr und mehr in
dem spätem römischen Recht wirksam. Der Hr. Verf. sagt: tritt
 
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