üi, S4. HEIDELBERGER 1868.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Kosenamen der Germanen. Eine Studie von Dr. Franz Stark.
Wien, Tendier. 1868. 8.
Als im Jahr 1846 die Berliner Akademie einen. Preis aussetzte
für eine Sammlung der deutschen Eigennamen bis zum Jahr 1100,
hatte man noch keine deutliche Vorstellung von der grossen Schwie-
rigkeit der Aufgabe, für deren Lösung noch alle Vorarbeiten fehl-
ten. Statt die kaum übersehbare Menge der in den verschiedensten
Mundarten und von romanischen Schreibern mannichfach entstellten
Namen alphabetisch geordnet in eine grosse Reihe zu bringen, hätte
man wohl besser gethan, vorerst nur nach der Zeitfolge die Regi-
ster der bei den Schriftstellern und sonstigen Quellen vorkommen-
den Namen an einander zu reihen, und es wäre schon ein nicht
geringes Verdienst gewesen, dabei kritisch mit Benützung aller
möglichen Hülfsmittel, die Gestalt der von Griechen und Römern
angeführten Namen festzustellen. Solche Verzeichnisse sind noch
jetzt unentbehrlich, und erst aus ihnen lässt sich als Generalregister
ein allgemeines Namenbuch gewinnen.
Abgesehen von den Veränderungen und vielfachen Entstellun-
gen, welche die Namen in der Auffassung nichtgermanischer Schrift-
steller und unter der Hand unkundiger nachlässiger Schreiber er-
leiden, erfahren die Namen schon bei den Germanen selbst die
mannichfaltigsten Abkürzungen, Zusammenziehungen, Verkleinerun-
gen und sonstigen Veränderungen, welche ihre richtige ursprüng-
liche Gestalt oft fast gar nicht mehr erkennen lassen. Wie noch
jetzt aus dem Namen, den die Linchen, Binchen, Trinchen u. s. w.
im Hause führen, nicht zu erkennen ist, wie sie im Taufbuch heis-
sen, so wurden von jeher, auch schon in heidnischer Zeit, die lan-
gen vollen zusammengesetzten Namen der Germanen im Hause und
im täglichen Leben bequemer und kürzer gemacht, und da die
Träger derselben immer zuerst Kinder waren, mit Deminutivbildun-
gen versehen. Alle diese Veränderungen der Namen befasst Herr
Dr. Stark unter der Bezeichnung Kosenamen, und er hat den sehr
grossen Muth, in das Labyrinth dieser Bildungen einzudringen; in
dem Schwanken und Wogen der stets sicher neuernden und überein-
ander stürzenden Wellen des Oceans der Sprache will er eine regel-
mässige Bewegung entdecken, in dem wilden betäubenden Lärm der
durch einander brausenden und stürmenden Winde des Luftmeers
der Sprache sucht er eine Harmonie; in dem scheinbar willkühr-
lichsten und regellosesten Gebiet der Sprachbildung strebt er das
Gesetz zu finden. Man wird mit Befriedigung zugestehen, dass der
LXI. Jahrg. 5, Heft. 24
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Die Kosenamen der Germanen. Eine Studie von Dr. Franz Stark.
Wien, Tendier. 1868. 8.
Als im Jahr 1846 die Berliner Akademie einen. Preis aussetzte
für eine Sammlung der deutschen Eigennamen bis zum Jahr 1100,
hatte man noch keine deutliche Vorstellung von der grossen Schwie-
rigkeit der Aufgabe, für deren Lösung noch alle Vorarbeiten fehl-
ten. Statt die kaum übersehbare Menge der in den verschiedensten
Mundarten und von romanischen Schreibern mannichfach entstellten
Namen alphabetisch geordnet in eine grosse Reihe zu bringen, hätte
man wohl besser gethan, vorerst nur nach der Zeitfolge die Regi-
ster der bei den Schriftstellern und sonstigen Quellen vorkommen-
den Namen an einander zu reihen, und es wäre schon ein nicht
geringes Verdienst gewesen, dabei kritisch mit Benützung aller
möglichen Hülfsmittel, die Gestalt der von Griechen und Römern
angeführten Namen festzustellen. Solche Verzeichnisse sind noch
jetzt unentbehrlich, und erst aus ihnen lässt sich als Generalregister
ein allgemeines Namenbuch gewinnen.
Abgesehen von den Veränderungen und vielfachen Entstellun-
gen, welche die Namen in der Auffassung nichtgermanischer Schrift-
steller und unter der Hand unkundiger nachlässiger Schreiber er-
leiden, erfahren die Namen schon bei den Germanen selbst die
mannichfaltigsten Abkürzungen, Zusammenziehungen, Verkleinerun-
gen und sonstigen Veränderungen, welche ihre richtige ursprüng-
liche Gestalt oft fast gar nicht mehr erkennen lassen. Wie noch
jetzt aus dem Namen, den die Linchen, Binchen, Trinchen u. s. w.
im Hause führen, nicht zu erkennen ist, wie sie im Taufbuch heis-
sen, so wurden von jeher, auch schon in heidnischer Zeit, die lan-
gen vollen zusammengesetzten Namen der Germanen im Hause und
im täglichen Leben bequemer und kürzer gemacht, und da die
Träger derselben immer zuerst Kinder waren, mit Deminutivbildun-
gen versehen. Alle diese Veränderungen der Namen befasst Herr
Dr. Stark unter der Bezeichnung Kosenamen, und er hat den sehr
grossen Muth, in das Labyrinth dieser Bildungen einzudringen; in
dem Schwanken und Wogen der stets sicher neuernden und überein-
ander stürzenden Wellen des Oceans der Sprache will er eine regel-
mässige Bewegung entdecken, in dem wilden betäubenden Lärm der
durch einander brausenden und stürmenden Winde des Luftmeers
der Sprache sucht er eine Harmonie; in dem scheinbar willkühr-
lichsten und regellosesten Gebiet der Sprachbildung strebt er das
Gesetz zu finden. Man wird mit Befriedigung zugestehen, dass der
LXI. Jahrg. 5, Heft. 24