Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

DOI Kapitel:
Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0103
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
103

ibigung zu betäubenden Getränten vorſaßlich zu ver.

Art, deren Simon wohl täglich neue zu erſinnen wußte,
Martern und Leiden, die ſich aus krankhafter Körper-

dispoſition ergaben, geſtalteten dieſe Periode der Haft

zu einer ununterbrochenen Kette von Elend und tief-
ſtem Kummer für das unglückliche Kind, das eben erſt
das achte Lebensjahr zurückgelegt hatte. Vom 3. Juli
1793 bis zum 19. Januar 1794 dauerte das Schreckens-
regiment des barbariſchen Schuſters, das nicht ohne

der äußerſt regſame und für das jugendliche Alter des
Knaben frühreife Geiſt den Corruptionsverſuchen des
Kanibalen noch zu widerſtehen vermocht, aber in ſeinen
Körper war dafür der Keim zu einem gefährlichen Lei-
den gelegt, welchem er um ſo eher zu erliegen in Ge-
fahr war, als die Anlage dazu ſchon ohnedies vorhan⸗—
den ſein mochte: es fanden ſich ſkrophulöſe Symptome
ein. Ein Arzt, den man herbeigeholt, der Doctor Nau-
din, ein ehrlicher und humaner Mann, ſprach ſchon damals
das Bedenken aus, daß in dem Kinde der Stoff zu ei-
ner verheerenden Krankheit angehäuft ſcheine. Er ver-
ordnete einige Medicamente, wurde indeſſen, da ſich das
Uebelbefinden des Knaben etwas milderte, nicht weiter
in Anſpruch genommen. — In Folge eines Beſchluſ-
ſes, daß Mitglieder des Generalrathes kein anderes vom
Staate bezahltes Amt inne haben ſollten, ſah Simon ſich ge-
nöthigt, ſeine Entlaſſung als Wächter des königlichen Prin-
zen einzureichen. Es mochte ihm das vielleicht nicht
unwillkommen ſein, denn während der ganzen Zeit ſei-
nerFunction hatte er nicht ein einziges Mal die Straße betre-
ten dürfen. Selbſt die anfänglich in dem Tempelgarten un-
ternommenen Spaziergänge mit dem Dauphin, die indeſſen
nur in Begleitung eines der täglich in dem Tempel als
Wachteommiſſare delegirten ſtädtiſchen Vertreter ſtattge-
funden hatten, wurden ihm unterſagt und ſtatt ihrer
eine Promenade auf der Plattform des Thurmes ange-
ordnet, von der man nichts ſehen konnte, weil die Mau-
erhöhe ſolches verhinderte. ö
Das Entlaſſungsgeſuch des Schuſters wurde geneh-
migt. Man mochte vielleicht einſehen, daß auf dieſe
Weiſe der angeſtrebte Zweck zu langſam erreicht wurde.
Der Wohlfahrtsausſchuß beſchloß, daß die Mitglieder
des Pariſer Generalrathes fortan ſelbſt die Ueberwachung
des Prinzen beſorgen ſollten. Der Generalrath mußte
ſich dieſer Anordnung fügen und beſtimmte nun, daß
täglich 4 Mitglieder auf 24 Stunden in den Tempel
zu ſenden ſeien, die ſich um die Art der Behandlung,
um die Lebensweiſe und die Geſundheitsverhältniſſe des
kleinen Gefangenen zu bekümmern haben ſollten. Da-
mit man gegen das Entwiſchen des Gefangenen geſi-

chert ſei, wurde dieſer in ein Zimmer gebracht, welches

ein Vorzimmer hatte und durch eine kleine Oeffnung in
der 8 Fuß dicken Thurmauer ſein ſpärliches Licht er-
hielt. Die nach dem Vorzimmer führende Thür wurde
mit einem Schalter verſehen, welches durch ein feſt ver-
ſchließbares Eiſengitter jedem Fluchtverſuche vorbeugte
und ſo eng war, daß eben nur die Speiſeſchüſſeln durch

daſſelbe hindurchgeſchoben werden konnte. Die Thüre ö

Eintritt der friſchen Luft geſtattete.

ö ö ät ſelbſt wurde mit ſtarken Schrauben verſchloſſen und
derben. Unaufhörliche Rohheiten, Mißhandlungen aller dann durch dicke eiſerne Querbalken vergittert und durch

ein groses Vorlegeſchloß verſichert.

Auch die äußere
Thür, welche vom Flur in das Vorgemach führte, warde
ſtets unter Schloß und Riegel gehalten. Die Schlüſ-

ſel zur Letzteren befanden ſich eine Treppe tiefer in
dem Wachtzimmer unter Aufſicht der ſtädtiſchen Com-

miſſare. ö
Durch alle dieſe Verkehrungen war nunmehr die

freie Bewegung des Knaben auf den engen, hald dun-
verderbliche Wirkung geblieben war. Allerdings hatte

keln Kerker beſchränkt worden, der nicht einmal den-
Das unglückliche
Kind ſchmachtete von jetzt an wie der gefährlichſte Ver-
brecher in der Iſolirhaft. Wer die ärztlichen Gutach-
ten kennt, welche über dieſe ſchrecklichen Maßregeln ab-
gegeben ſind, weiß, daß ſelbſt der kräftigſte Gaſt nach
einer gewiſſen Zeit dieſer Art der Gefängnißſtrafe zum
Opfer fallen muß. Wie viel eher alſo nicht der Geiſt
eines Kindes! ö
Der arme Gefangene war fortan ganz auf ſich ſelbſt
angewieſen. Niemand bekümmerte ſich um ſeine Reini-
gung, um ſeine Kleidung und Wäſche, ſein Bett blieb
ungemacht, ſein Zimmer ungeſäubert und ſelbſt die
nothdürftigſten Lebensverrichtungen mußten in jenem
Raume abgemacht werden. Speiſereſte und Brodrinden
lockten eine Menge Ungeziefer hervor. Ratten und
Mäuſe hatten ſich im Kerker heimiſch gemacht, Spinnen
und namentlich eine Legion von Wanzen ängſtigten und
peinigten das unglückliche Opfer und raubten ihm die
Nachtruhe, wenn ſolches nicht die neuen Commiſſare
thaten, die ſich ab und zu von den Anweſenheit des
Knaben zu überzeugen kamen. —
Oft mitten in der Nacht traten ſie an das Schal-
ter, riefen den Knaben dorthin und hießen ihn dann
wieder barſch zu Bette gehen, nachdem ſie ſich ſeiner
Anweſenheit verſichert hatten. Niemand wagte gegen
dieſe unmenſchliche Behandlungsweiſe des Königskindes
ein Wort der Mißbilligung auszuſprechen, geſchweige
denn auf eine Aenderung hinzuwirken. Allerdings be-
fanden ſich unter den Deligirten des Generalraths mit-
unter Männer, denen ein Herz im Buſen ſchlug und
die mit Entſetzen und Mitleid von dem unglückſeligen
Schickſale des Knaben Kenntniß nahmen; allein der
Schrecken, der von den wahnwitzigen Machthabern überall
hinverbreitet wurde, verſchloß ihnen den Mund. Wer
die Unvorſichtigkeit beging, auch nur eine Spur von
Mitgefühl, von menſchlichem Erbarmen zu verrathen,
lief ſofort Gefahr, auf die Proſcriptionsliſte geſetzt und

han Leib und Leben beſchädigt zu werden. Wiederholt

kamen ſolche Fälle vor, noch ehe die ſtrenge Einzelhaft
feſtgeſett worden war. Allein ſie zogen ſo gefährliche
Folgen für die betreffenden Mitglieder des Generalraths
der Commune nach ſich, daß fortan Jedermann um der
eigenen Sicherheit willen ſich hütete, auch nur im Ge-
ringſten Grund zu ähnlichen Verdächtigungen zu geben.
CFortſetzung folgt.) ö
 
Annotationen