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Heidelberger Volksblatt (7) — 1874

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Nr. 26 - Nr. 34 (1. April - 29. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44620#0106
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ſchreite Fenno Horſt unberührt durch alle Anfeindungen
und Verachtung hindurch; traf ja einmal ein mißach-
tendes Wort ſein Ohr, ſo pflegte er einen ernſten, ſtol-
zen Blick ſeiner dunklen Augen auf den Betreffenden
zu richten, und noch nie war es vorgekommen, daß die-
ſer demſelben trotzte, eine ſo beredte Gewalt lag in die-
ſem vorwurfsvollen Blick. ö
Nur einer war unter den Studenten, der eine leb-
hafte Theilnahme für den Mulatten zu fühlen ſchien,‚
der es einſah, wie dieſen ſein Aeußeres, ſein Geiſt und
ſein Charakter über die Andern erhoben, die ihn um
ſeiner Abſtammung willen verachteten und vermieden.
Der Eine, der nicht der allgemeinen Anſicht beiſtimmte,
war Graf Ludwig von Falkenburg, doch gelang es ſei-
nen wiederholten Bemühungen nicht, über den kalten,
zurückhaltenden Austauſch einiger Redensarten mit
Fenno hinauszukommen.
Der berühmte Profeſſor Schucker hielt eine Vorle-
ſung, doch war dieſelbe weniger als ſonſt beſucht, da
der ſchöne, heitere Tag Viele in's Freie gelockt. An
ſeinem gewöhnlichen Platz ſaß mit der ſtets ernſten Miene
Fenno Horſt, neben ihm Graf Falkenburg. Der er-
ſtere begab ſich nach Schluß der Vorleſung ohne Zögern
auf den Heimweg. Kaum auf der Straße angelangt,

fühlte er eine Hand auf ſeiner Schulter, ſich umwen-

dend, ſah er in das hübſche Geſicht des Grafen.
S»„,Sie verzeihen, Herr Horſt“, redete dieſer ihn an
„daß ich Sie aufhalte; wollen Sie mir erlauben, Sie
einige Schritte zu begleiten?“ ö
„Ich habe Eile, Herr Graf“, war die kalle Antwort.
„Sie haben immer Eile, Herr Horſt, doch diesmal ſoll es
Ihnen nicht gelingen, mir zu entſchlüpfen. Ich habe
einmal den feſten Entſchluß gefaßt, Sie zu zwingen, daß
Sie mich anhören und laſſe mich auch nicht davon zu-
rückbringen.“
Der heitere Ton des Grafen, ſein freundlicher Blick
gaben Fenno die Ueberzeigung, daß ſeine Abſicht eine
wohlmeinende ſei, gleichwohl zögerte er noch, ſeine Be-
gleitung anzunehmen.
„Kommen Sie, Horſt“, rief der Graf, „laſſen Sie
einmal alle Bedenken fallen. Sie haben mir zu deut-
lich gemacht, daß Sie meine Freundſchaft nicht wollen,
als daß es mir in den Sinn kommen könnte, Ihnen
dieſelbe aufzudringen; ſo tief kann doch Ihr Mißtrauen
nicht gewurzelt ſein, daß Sie es mir verſagen wollen,
einige Worte von mir anzuhören. Ich reiſe morgen
ab, es können Jahre vergehen, ehe ich dieſe Stadt wie-
der beſuche, alſo ſind Sie vor jeder erneuten Zudring-
lichkeit ſicher.“
Er hob bei dieſen Worten ſeinen Arm unter den
des Andern und ſchritt an ſeiner Seite vorwärts.
„Herr Graf, man könnte uns bemerken“, ſagte
Fenno. *
„Allerdings, es ſind genug Menſchen da, auch ſolche,
die uns kennen. Ich würde ſtolz darauf ſein.“
„Darauf? Herr Graf“, wiederholte Fenno. „Wenn
Sie ſich ſelbſt klar machen, auf was Sie ſtolz ſein wür-
den, ſo iſt es nur das Gefühl, größer zu ſein als An-
dere, weil Sie ein Vorurtheil überwinden.“

„Horſt, bei Gott! An Ihnen könnte ein eiſerner
Wille ſcheitern; doch wie geſagt, heute nützt Ihnen das
nichts, ich laſſe mich nicht abſchrecken, Sie ſollen und
müſſen mich anhören.“ —
„Haben Sie mir etwas ſo Wichtiges mitzutheilen?“
„Wichtig, hm; ſpräche ich mit einem Andern, würde

ich vielleicht Ja ſagen, aber Ihnen gegenüber! Ich müßte

fürchten, daß Sie mir mit Ihrem Blick bis auf den
Grund der Seele dringen, alſo will ich ganz gewiſſen-
haft antworten: mir liegt viel daran, daß ich mit Ih-
nen ſpreche, alſo für mich iſt es wichtig, ob aber für
Sie? — Horſt, Sie ſind eine ſo ganz unnahbare Na-
tur, daß ſchon einige Kühnheit dazu gehört, Ihrem
ceremoniöſen „Herr Graf“ gegenüber, das vertrauliche
„Horſt“ zu gebrauchen.“
Ein halb verächtliches Lächeln zuckte um Horſt's
Lippen.
„Ich gehe über meine urſprüngliche Bitte hinaus“,
fuhr der Graf fort, „darf ich Sie in Ihre Wohnung
begleiten? Sie müſſen nicht argwöhnen, daß müßige
Laune mich treibt, bitte“ — ſein Ton ward ein herz-
licher, „trauen Sie mir doch einmal! Darf ich?“
Fenno neigte nur ſtumm den Kopf, winkte aber ſo-
fort einer Droſchke. Der Graf verſtand ihn.
„Es iſt nichts mit Ihnen anzufangen“, ſagte er un-
gehalten, „wenn Sie fahren wollen, ſo fahren Sie al-
lein. Adieu.“ ö
Ohne irgend welche Verwunderung, vielmehr mit
einem Ausdruck, der zu ſagen ſchien: ich habe es nicht
anders erwartet, ſah Fenno dem haſtig Forteilenden
nach. Es ward ihm ſchwer, ſo kalt der Herzlichkeit
deſſelben zu begegnen, er war aber ein viel zu feſter
Charakter, um dem Vorſatz, jeder derartigen Annähe-
rung auszuweichen, damit er ſich jede Enitäuſchung
ſpare, ungetren zu werden. Er fühlte, daß ſein Herz,
falls es einmal der Sehnſucht nach Liebe nachgab, die
er, der Vereinſamte, nur dem Namen nach kannte, ſich
ſo feſt an den Gegenſtand ſeiner Zuneigung anklam-
mern werde, daß es ſich nur mit tiefem Schmerz von
ihm trennen konnte, deshalb wollte er ſich dieſer Ge-
fahr nicht ausſetzen, da er nicht glaubte, daß ihm Je-
mand dauernde Freundſchaft widmen könne.
— (Fortſetzung folgt.)

Ein welthiſtoriſches Räthſel.
Von Dr. Eu gen Sierke.

(Fortſetzung.)

Eine ſechsmonatliche Kerkerſchaft in einem ſcheußlich
verpeſteten, dem Zugang der friſchen Luft verſchloſſenen,

bald unmäßig geheizten, bald wieder bis auf den Ge-

frierpunkt abgekühlten Loche, in welches kaum ein mat-

ter Strahl des Tageslichtes ſich hineinverirrte, ferner

die Erbärmlichkeit der Koſt und die Unreinlichkeit, die

in dem Käfig herrſchté — alles dieſes hätte ſicherlich

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