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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Oettingen, Wolfgang von: Die Pflege der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0048

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-*-s=S> W. VON OETTINGEN Osfc^

mit Reproduktionen, die nicht nur da an Fein-
heit und Wert verlieren, wo es sich um me-
chanische, das Kunstwerk popularisierende
Maschinenarbeit handelt, sondern auch da,
wo aus Rücksicht auf die Billigkeit Originale
unter ungünstigen Umständen preisgegeben
werden: Gemälde und Statuen in überfüllten,
schlecht beleuchteten Museumssälen statt in
vornehmer, ihnen genau angepasster Umge-
bung, Musikstücke und Theatralisches von un-
zureichenden Kräften aufgeführt, Dichtungen,
die man aus dem Munde des Dichters oder
eines würdigen Interpreten empfangen möchte,
in beleidigend gemeinen Buchausgaben. Man
kann nicht leugnen, dass die Masse dieser
Mäcenaten, in der sich Vertreter aller Nationen
von der unkultiviertesten an, aller Stände vom
Bauern bis zum Fürsten, aller Bildungsgrade
und aller Lebensalter zusammenfinden, ebenso
schwerfällig als erdrückend ist. Sie gleicht
dem Meere, das, sich selbst überlassen, nach
den ihm innewohnenden Gesetzen in Ruhe
wirkt und webt, aber, vom Sturm erfasst und
angetrieben, auf ganz ungeheure Uebergriffe
verfällt. Wie das Meer dem Winde, so ist die
Menge zeitweilig äusseren Einflüssen unter-

than, infolge deren sie eine verhängnisvolle
Macht ausübt. Moden, und keineswegs nur
Kleidermoden, von einer energischen Minori-
tät aus irgendwelchen Gründen aufgebracht,
bestimmen Perioden und streckenweise den
öffentlichen Geschmack, die ästhetische Ueber-
zeugung, die in den seltensten Fällen selbst-
ständig durchgebildet wird. Wie die Moden,
so wechseln dann auch die Traditionen und
mit ihnen die Grundsätze; was heute noch
Stil ist, wird morgen Manier sein, und die
Mehrzahl der Künstler, in Abhängigkeit von
den Reproduzenten ihrer Werke und durch
diese von der Konsumentenmasse, wird von
der Bewegung des Geschmackes mitgerissen.
Ob das ein Unglück sei, darüber lässt sich
streiten; so absurd im einzelnen die Mensch-
heit sich gebärdet, sie geht doch ihren festen,
vorgeschriebenen Gang im folgerichtigen
Schritte der Natur und in engster Verbindung
mit ihr schreitet ebenso unablässig vorwärts
die Kunst, die ja doch, nach der Erhaltung des
Individuums und der Gattung, die wesentlichste
Sorge der Menschheit ist, weit wesentlicher als
die Wissenschaft, die in der That nur beson-
ders begabten Geistern vorbehalten bleibt.



JEAN FRANgOIS RAFFAELLI AUF DEM BOULEVARD DES ITALIENS
( Münchener Glaspalast 1901: Französische Abteilung)

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