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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Schubring, Paul: Hans von Marées' Fresken in Neapel
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0185

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-*-5^> HANS VON MAREES' FRESKEN IN NEAPEL

Bahn. Ferner wird die leise ansteigende Bauch- wie den Impressionisten gleich fern. Dort
liniedes Pferdes gekreuzt von derim Gegensinn waltet der Zufall der Draperie und das Streben
ansteigenden Linie des hellen Horizonts. Ausser nach glücklicher Anordnung; hier entscheidet
diesen beiden Kreuzungslinien tritt dann noch der Eindruck, den das offene und scharfe Auge
ein rechtwinkliges Dreieck sehr deutlich heraus, im besonderen Augenblick der Erscheinungs-
dessen Hypotenuse der Speer, dessen Katheten weit ablauscht. Marees dagegen ruht nicht,
der dicke senkrechte Baumstamm und die Erd- bis jedes Bild als wirkliche Schöpfung, wie
Oberfläche sind. Dadurch bekommt das Bewe- eine Athene, ihm aus dem Haupt springt,
gungsspiel der Linien eine feste tek-
tonische Axe. Bedenkt man endlich,
dass diesen gegensätzlichen Be-
wegungslinien dersachliche Gegen-
satz des blühend sich hebenden
Rosses und des elend am Boden
winselnden Untiers sich angliedert,
denen die Herrschergestalt des
über Leben und Tod gebietenden
Menschen übergeordnet ist, so
kommt man zu einer Ahnung der
geistigen Arbeit, die zu einer
solchen Verschmelzung formaler
und pathetischer Gedanken gehört.
Aehnliche Raumgedanken ent-
hält der heilige Martin (Schleiss-
heim), wo sich die grossen Axen
auch mehrfach kreuzen. Die Scene
springt vorne im rechten Winkel
vor, der von den aufeinander-
prallenden Gestalten des Reiters
und Bettlers gebildet wird; im
Gegensatz zu dem Reiter steigt
dann wieder der Abhang diagonal
in die Höhe. Oder man sehe die
Hesperidenbilder auf die unend-
liche Luft- und Raumfülle, auf ihre
Höhe und Tiefe hin an! Und wie
gering sind die Mittel, die Marees
aufwendet. Er ist kein Maler des
malerischen Flimmermomentes;
er verschmäht es, den zitternden
Schwingungen der gesättigten At-
mosphäre nachzugehen. Erarbeitet
nur mit dem hellen, plastischen
Menschengebilde des Vorder-
grundes und der dunkeln Ferne
und Tiefe; mit den elementaren hans von marees sanct georg
..^ T . , . j o . , Das Original in der Kel. Sational-Galerie :a Berlin
Gegensätzen von Licht und Schat-
ten, Gebilde und Leere, Horizon-
talen und Vertikalen. Die Figuren sind genau Ein einzigesmal zollte er, als blutjunger Mensch
für die Fläche berechnet; ein Anstückeln oder in München, mit „Schills Tod" der histo-
Beschneiden der Leinwand wäre bei ihm gar rischen Schule seinen Tribut. Später mied
nicht denkbar. Wie die Komposition eine er es absichtlich, poetisch fesselnde Stoffe zu
höchste Accentuierung, die reinlichste Dar- wählen, die sich in erster Linie an die Er-
legung der Akme bietet, als ob die Energien innerung und Vorstellung, aber nicht an die
selbst mit einander kämpften, so verrät auch Anschauung des Betrachters wenden. Das
die Raumdisposition eine Notwendigkeit, die Psychologische tritt bei seinen Bildern zurück,
keinen Zweifel aufkommen lässt. Marees steht Wie völlig er trotzdem das Porträt beherrschte,
darin den Schöpfern historischer Arrangements zeigen die Jugendarbeiten, namentlich die

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