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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Lange, Konrad von: Die Freiheit der Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0212

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-^S2> DIE FREIHEIT DER KUNST

Denn gerade sie sind es ja gewesen, die zu-
erst das Bedürfnis der Volkskunst empfunden
haben, und die künstlerischsten Bilderbücher
und die besten und billigsten Wandbilder, die
uns das Christfest beschert hat, stammen doch
gerade von ganz modernen Künstlern her.
Wenn aber der Kaiser die moderne Kunst
auf die Antike als das unerreichte Vorbild
hinweist, ein Vorbild, das sie freilich immer
nur „beinahe" erreichen könne, so wäre
doch darauf aufmerksam zu machen, dass
gerade die Modernen, Böcklin, Hildebrand,
Marees, Klinger, Volkmann u. s. w. es gewesen
sind, die die Antike teils in inhaltlicher, teils
in formaler Beziehung wieder zu Ehren ge-
bracht haben. Und wenn man auch zweifeln
kann, ob der Wert ihrer Kunst gerade auf
ihrer antikisierenden Richtung beruht, so wird
doch jeder, der die Verhältnisse kennt, heut-
zutage nicht Begas, sondern sie als die eigent-:
liehen geistigen Erben der Antike nennen.
Man sieht eben aus all dem, dass der Kaiser
in Bezug auf die Thatsachen des modernen
Kunstlebens von seiner Umgebung dauernd
im Unklaren gehalten wird. Und das ist um
so unbegreiflicher, als in Berlin mehrere
Kunstgelehrte in führenden Stellungen leben,
die ganz auf dem Boden der neuen. Entwicklung
stehen, sich um die moderne Kunst die grössten
Verdienste erworben haben. Ist es diesen
Männern wirklich unmöglich gemacht, ihr
Wort an die höchste Stelle zu bringen und
den Kaiser darüber aufzuklären, dass es eine
grosse moderne Kunst giebt, die der antiken
völlig ebenbürtig ist, wenn sie auch, infolge
der Kompliziertheit der modernen Kultur-
verhältnisse, nicht denselben einheitlichen
Charakter hat? Haben die schwächlichen
Vertreter einer epigonenhaften Hofkunst
wirklich allein Gelegenheit, das Urteil des
Kaisers zu beeinflussen und ihm einzureden,
die moderne Kunst sei nur durch die Re-
klame zu der Stufe emporgeschraubt worden,
die sie gegenwärtig in der Schätzung aller
Urteilsfähigen einnimmt? Als ob nicht ge-
rade die Kunst der älteren Generation er-
fahrungsgemäss die Presse in viel höherem
Masse in der Hand hätte als neue Richtungen,
die oft jahrelang bitter um ihre Existenz
kämpfen müssen und sich nur mit grösster
Mühe gegen die Uebermacht der Tradition,
die Bequemlichkeit und den Unverstand der
Kritik durchsetzen können!
Aber es ist nicht schwer, sich auszumalen,
wie dieses Urteil am Kaiserhofe entstehen
konnte. Erleben wir doch ähnliches fort-
während selbst in unseren Kreisen. Leider
ist es ja richtig, dass das Cliquenwesen in

unserer modernen Kunst eine grosse Rolle
spielt, und dass es nicht an urteilslosen
Kritikern fehlt, die in dem Streben, möglichst
modern zu erscheinen, mit der guten Kunst
auch alles Schlechte, was die Mode bringt,
in den Himmel heben. Eine Kritik, die sich
nicht scheut, die klassische Kunst eines Storm
und Leibi und Meunier in einem Atem zu
nennen mit der bedenklichen Decadence eines
Maeterlinck, dem mystischen Symbolismus
eines Toorop und den zeitweisen Extravaganzen
eines Rodin, die kann sich nicht wundern,
wenn man auf ihr Urteil keinen besonderen
Wert legt. Man denke sich nun Berater,
die den Kaiser bei passender Gelegenheit
auf diese Uebertreibungen, auf die wüsten
Verirrungen des Symbolismus oder Archais-
mus hinweisen, etwa bestimmte Seiten des
„Pan" oder gar des „Simplicissimu " auf-
■ schlagen und nun so thun, als ob die ganze
moderne Kunst mit diesen Herren oder mit
Minne und Vallotton und Khnopff solidarisch
wären, als ob alle modernen Kritiker diesen
Unsinn billigten. Man begreift, wie der
Kaiser dadurch in eine tiefe Verachtung
gegen alle Kunst hineingeraten konnte, die
nicht Menzel oder Begas oder gar Anton
von Werner heisst. Und da die Mehrzahl
dieser Decadents in der That Ausländer sind,
so versteht man auch, wie der Kaiser zu der
Anschauung kommen konnte, dass nur dem
deutschen Volke die grossen Ideale zu dauern-
den Gütern geworden seien, während die
anderen Völker sie mehr oder weniger ver-
loren hätten.
Der Kaiser fordert nun diesen Extravaganzen
gegenüber, dass die Kunst wieder zu den Ge-
setzen der Schönheit und Harmonie zurück-
kehren solle. Das Schöne aber hält er für
etwas Objektives, ein für allemal Gegebenes,
das man der Kunst etwa in derselben Weise
vorschreiben könne, wie dem Soldaten Mut und
Disciplin. Und er glaubt offenbar, dass, wie
die Natur ihre ewig gültigen Gesetze von Gott
empfängt, so die Kunst auf Erden in ihrer
Entwicklung durch das Machtwort der Fürsten
bestimmt sei. „Eine Kunst, die sich über die
von mir bezeichneten Gesetze und Schranken
hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, sie ist
Fabrikarbeit, ist Gewerbe. Wer sich von
dem Gesetz der Schönheit, dem Gefühl für
Aesthetik und Harmonie, die jedes Menschen
Brust erfüllt, loslöst und in dem Gedanken
an eine besondere Richtung und bestimmte
Lösung der mehr technischen Aufgaben die
Hauptsache erblickt, der versündigt sich an
den Urquellen der Kunst."
Es ist eine der schwierigsten Aufgaben der

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