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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Nissen, Benedikt Momme: Berliner konservative Malerei: (grosse Ausstellung 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0537

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-a-£sg> BERLINER KONSERVATIVE MALEREI -C^ä^

seinen wenigen Historienbildern. Mehr noch
als sein fast magisch wirkendes Leichenbe-
gängnis des alten Kaiser Wilhelm zeugen seine
Altonaer Fresken von sprudelnder Originalität.
Aus dem Durchsonnten dieser echten Spiel-
mannsnatur wünscht man der hie und da etwas
zopfigen Preussenmalerei einen Schuss Aroma
— der ihr noch fehlt. Es weht ein kühler
Hauch an der Spree. Moltke als Typus und
Menzel als Maler sind etwas frostig.
Dettmann und Ka.mpf stehen, innerhalb
der heutigen Berliner Monumentalmalerei, zu
einander wie Farbe zu Form. Dettmann brachte
eine frohe Auffassungsgabe, Kampf eine feste
Kunstübung mit nach Berlin. Dies belegt er
durch seine für Aachen bestimmten Entwürfe
von hünenhaften Arbeitertypen. Es ist etwas
von derDurchschlagskraftKruppscher Kanonen
in ihnen. Sie zeigen eine wie altgriechische
Bestimmtheit. Sie sind nicht „geschummert",
sondern gemeisselt, fast graviert. Ein neues
Oelbild Kampfs, sein in der Schlosskapelle
weinender alter Fritz, getreu nach der Volks-
vorstellung empfunden, wirkt wie ein gemalter
Choral. Das ist ferme Wirklichkeitsmalerei.
Gewaltiger noch berührt sein in grosszügigem
Freskenstil hingesetztes drittes Werk der dies-
jährigen Grossen Berliner Ausstellung: Ein-
führung des Christentums in Polen.
Meisterhaft kontrastiert er die schwarze Masse
der Mönche zu den hellen germanisch-skythi-
schen Typen des aufhorchenden Volkes. Rasse-
geist und Geschichtsgeist durchdringen sich
hier. Die polnische Glaubensinbrunst ist
wunderbar getroffen. Man lebt den Vorgang mit.
Er ist real und doch visionär gesehen. Das volle
Schwergewicht ruht hier im Seelischen, ohne
dass die Form dabei vernachlässigt wäre. Diese
gemahnt an den allerbesten Düsseldorfer Geist
— an Rethel. Die kühle gobelinartige Tonskala
erscheint zwar etwas bunt; ein endgültiges
Urteil hierüber ist aber erst am Aufstellungs-
ort des Wandbildes möglich. Jene Mischung
von technischer Kühle mit seelischer Tiefe,
die Kampf durchweg auszeichnet, ist dem ge-
schilderten Vorgang ganz adäquat. Das Werk
wirkt als das bedeutendste der Ausstellung.
Künstlerische Prinzipien lassen sich besser
an einem hervorragenden Gemälde als an einer
ganzen Ausstellung demonstrieren. Es gelang
hier Kampf, den reinen klaren grossen deut-
schen Kartonstil mit einer starken malerischen
Qualität und einer plastischen Realität organisch
zu verbinden. Will sagen: er verwarf nicht die
echt deutsche Tradition und revolutionierte,
sondern er baute weiter auf ihr und
reformierte. Dieses letztere Verfahren kann
man geradezu als das konservative Kunstpro-

gramm, an sich, bezeichnen. Derartige Kunst
lebt nicht in und von Selbstzerfaserung. Sie
schafft, sie konserviert, indem sie konstruiert
und neu gebiert — die Geschichte. Kampf
macht künstlerische Generalstabsarbeit. Er
ist der Gegenpol der hypersensiblen Ueber-
müden. Solche sind freilich blind für die
Leistungen einer krystallinischen, festen, in
sich geschlossenen und gleichzeitig historisch
lokalfarbenen Kunst. Beide diese Faktoren
dominieren in Kampfs Bilde wie in jeder
echten Geschichtsmalerei. —
Röchling's Arbeit ist etwas hausbacken;
aber er vermochte doch in seinen Gemälden
„Hohenfriedberg" und „Kollin" dem Geist
des siebenjährigen Krieges ins Herz zu
sehen. Er schildert preussisch-handfest und
getreu — vom Standpunkt des Füsiliers.
Noch ein Berliner Maler hat diesmal echte
pangermanische Historie abgespiegelt: Wich-
graf in seiner lebensgrossen Ratsversamm-
lung der Buren. Das Burenbild ist im Buren-
stil gemalt. Es stellt plattdeutsch-bäuerlichen
Rassengeist dar. Von den übrigen preussi-
schen Geschichtsmalern frappiert der Kasseler
Akademiedirektor Külitz mehr durch seine
porträtistische Meisterleistung des „Hofrat
Ruhl" als durch seine etwas dunklen Kriegs-
scenerien. Auf die konservativ gestimmte
Malerei Berlins, ausserhalb der Historie, Iässt
sich hier leider nicht eingehen. Der Saal der
sechszehn abgesprengten Secessionsmitglieder
erhält seine Signatur durch Werke von Engel,
Uth, Frenzel, Friese und des Bildhauers
Lederer; leider fehlt der Berliner Lokal-
maler Skarbina.
II.
Der einheimisch-preussische, sozusagen
adelige Malgeist bewegt sich bisher in etwas
engen, aber gesunden Bahnen. Dass an
Momenteffekt und Drastik die Berliner Seces-
sionsausstellung mit ihren pikanten Delika-
tessen manchmal der Grossen, der Repräsen-
tantin sesshafter Kunst, überlegen war, darf
nicht beirren. Die Aufgabe eines „autonomen"
Kunsthändlers: unter Assistenz von erfahren-
sten Künstlern, aus der gesamten Kunstwelt
eines halben Jahrhunderts, alljährlich zwei-
hundert teils anziehende, teils abstossende
Ausstellungsobjekte herauszuheben, ist weit
leichter als die einer vielköpfigen Kommission:
alljährlich mehrere Tausend wahllos einge-
lieferte Werke zu einer guten Gesamtmasse
zu vereinigen. Solche grundlegenden Unter-
schiede zwischen beiden Gemäldegruppie-
rungen sollte man voll erfassen und erst dann

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