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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 17.1902

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Nissen, Benedikt Momme: Berliner konservative Malerei: (grosse Ausstellung 1902)
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https://doi.org/10.11588/diglit.12080#0538

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BERLINER KONSERVATIVE MALEREI <ös=^

urteilen. Statt dessen kritisiert man — wie
früher fast durchweg im Sinne von Pecht —
jetzt in Kennerkreisen schlankweg ä la Muther.
Dabei verfolgt man mit Argusblicken den Start
der internationalen Rennpferde; das andere
lässt man schiessen.
Der spezifisch preussische Gehalt der Ber-
liner Secession ist so verschwindend gering,
dass sie ebensogut in Honolulu wie Charlotten-
burg hausen könnte. „Moabit" ist zwar nicht
gewählt, aber die Secession wirkt oft gequält.
Was der edelgesinnte königliche Philosoph
von Sanssouci nicht vermochte: französische
Geisteskultur dem deutschen Wesen zu in-
okulieren, das vermag die Secession noch viel
weniger. Die hochgesteigerte Fahrtgeschwindig-
keit der Berliner Kunstwaggons in den inter-
nationalen D-Zügen, mit den Lokomotiven
Manet, Monet, Degas und dem „Morithat-
maler" Münch, hat die Trag- und Triebkraft
des preussischen rollenden Kunstmaterials
mehr geschwächt als gestärkt. Der Aufgang
Berlins als Kunststadt kann nie durch einen
noch so effektvollen Import, sondern nur
durch Kunstwachstum von innen heraus er-
folgen. Die Hebung Berlins als Kunstbörse
ist keine Hebung Berlins als Kunststadt.
Die Berliner Secession eröffnet alljährlich
einen besseren internationalen Kunsthändler-
salon — nichts mehr und nichts weniger.
Der politische Schwerpunkt der Secession
liegt in ihrem altbewährten Parteichef. Lieber-
manns Force ist das Unakademische, sein
Irrtum die Ablehnung aller Tradition. Wie
Lassalle der Gründer des norddeutschen
Sozialismus, ist Liebermann der Gründer
des norddeutschen Secessionismus. Auch er
arbeitet mit „Genossen"; auch er schüttet das
Kind der gutbürgerlichen Tradition mit dem
Bade aus. Er hat eine schneidige Aktivität, die
seinen Gegnern oft mangelt. Seine feste aber
kalte Hand kann, wie die eines tüchtigen
Chirurgen, eine geschickte Operation voll-
ziehen; aber sie genügt nicht, den inneren
Werde- und Lebensgang einer Künstlergene-
ration zu regeln. Sein dreist gemalter, dabei
innerlich dürftiger Simson ist ein Symbol der
ihm eigenen mise-en-scene. Der Austritt der
Sechzehn hat der Secession, für Berlin, teilweise
die Sehnen durchschnitten. Zwei kommende
Männer, zwei kommende Führer der Berliner
Kunst stellen sich diesjährig Liebermann gegen-
über: Slevogt, der ihn als Maler im eigenen
Lager schlägt, und Kampf, der ihm als Organi-
sator im fremden Lager gewachsen ist.
Die Kunstgeschichte wird nicht auf Aus-
stellungen gemacht. Sie werden leicht zu
Specialitätenbühnen. Sie ruinieren oft den

Künstlergeist. Nicht in vorübergehenden
Blendern, sondern in innerlichem Verwachsen
mit der ganzen Reichs- und Residenzkultur
liegt die Zukunft der Berliner Kunst. Die
Berliner konservative Malerei war zu ihrem
Glück nie eine „Ausstellungsmalerei", son-
dern ihre Vertreter schufen vorwiegend für
die künstlerischen Bedürfnisse des Preussen-
reiches. Werden hierbei die rechten Kräfte
an den rechten Fleck gestellt — wie es mit
öffentlichen Aufträgen an Menzel, Werner,
Gebhardt, Janssen, Kampf und Dettmann
schon der Fall war — so bildet sich damit
ein norddeutsch-künstlerisches Zentrum, um
das sich zwanglos alle anderen bodenständigen
Kunstkräfte gruppieren könnten in nerviger,
nicht nervöser Art.
Aus der „Not" der Grossen Berliner Aus-
stellungen kann man eine „Tugend" machen.
Durch verständige organische Gliederung und
verstärktes Achtgeben auf Qualität — durch
ein Gerippe von gediegenen Gemälden an den
besten Plätzen — durch eingefügte, in sich
geschlossene Kollektionen (die von Hoffmann-
Fallersleben im Jahr 1900 inscenierte dänische
Einzelausstellung war dafür mustergültig) —
durch nationale Standard works — Hesse sich
die Grosse Ausstellung ungemein heben. Einen
entschiedenen Schritt hierzu hat die heurige
Ausstellungskommission unter Kampf gethan.
Trotz der Abwesenheit aller Sensationen prä-
sentiert sich der Eisenpalast am Lehrter Bahn-
hof in diesem Jahre angenehmer als früher.
Man spürt eine feste Hand darin. Die in
Preussen heimische Fähigkeit des klaren Dis-
ponierens ist auch Kampf eigen. Es ist ein
einheitlicher Zug in die Grosse Ausstellung
gekommen, dessen gehaltvolle Weiterbildung
zu hoffen ist. Dadurch bekommt die Aus-
stellung Charakter.
Die beiden stehenden Gefahren für die
Preussenkunst: hier allzu akademisch, dort
bloss repräsentativ zu werden, lassen sich nur
durch kraftvolle Künstlerpersönlichkeiten,
sowohl in der Produktion wie in der Regie,
vermeiden. Das bedeutsamste Kunstereignis
Berlins in diesem Jahr ist, dass eine solche
mit Ka.mpf auf den Plan tritt. Seine Bilder und
seine Ausstellungsorganisation haben Facon.
Er verkörpert als Künstler das Nationalprinzip
in stählerner Art. Er steht auf der festen
Schanze der Berliner konservativen Kunst.
Die preussische Präzision ist der Pariser
Modemache mehr als gewachsen. Idealismus
und Realismus treffen sich im Geschichtlichen.
Jede echt nationale Kunst ruht auf solcher
Grundlage wie auf einem rocher de bronce.
Momme Nissen

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