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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 18.1902-1903

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Zuckerkandl, B.: Wiener Kunst-Ausstellungen
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-a-5^> WIENER KUNSTAUSSTELLUNGEN

Vielleicht gelingt es dem „Jungbund", im
Künstlerhaus feste Wurzeln zu schlagen, das
frische Grün wäre dem alten Stamm gut.

Auch die fünfzehnte Ausstellung der Se-
cession zeigt diesmal nicht die vornehm um-
schlossene Abgrenzung, mit welcher sie sonst
ihre Kunstprogramme dem Publikum gegen-
über vertritt. Sie hat außerordentlich viel
geboten und Ausgezeichnetes. Aber sie hat
nicht wie sonst eine Ueberzeugung mit stren-
ger Konsequenz ausgesprochen.

Die neue Gestaltung der Denkmalskunst
durch Minne, die geschlossene Kunstdarbie-
tung der Polen, und die erschöpfende Cha-
rakterisierung der Persönlichkeit Kalck-
reuth's geben drei Thematas, welche voll
und ganz hätten ausklingen sollen. Leider
wurde ihr Rhythmus durch mancherlei Neben-
werk unterbunden. Die in ihrer Art reizende
Alt-Kollektion, die wenigen und nicht aus-
gewählten Werke Leibl's, die äußerlichen
koketten Plastiken eines Saint-Marceaux,

HERMANN HAHN BILDNISBCSTE
XV. Ausstellung der Wiener Secession

schottische Miniaturen, englischer Schmuck,
österreichisches Kunstgewerbe lenken den
Sinn des Schauenden in verschiedenste Bah-
nen und trüben die Einheit des Wesentlichen.

Räumlich ganz abgeschlossen gibt die pol-
nische Vereinigung „Sztuka" ein übersicht-
liches Bild ihres Schaffens. Ins Leben und
Fühlen ihres Volkes, ins Weben und Walten
der heimatlichen Erde tief eingedrungen sind
die polnischen Künstler. Sie haben in lang-
samer, stetiger Entwicklung die evolutiven
Momente der jetzigen Stilumwandlung durch-
gemacht, haben im Erkennen und Gestalten
sich durchgerungen zu einer Kunsthöhe, wie
sie eben nur ein von alter Kultur durch-
tränktes Volk haben kann.

So sieht man gleich an Chelmonski's
Werken, daß sein fabelhaftes Können das
Ergebnis ist einer langen, schöpferischen,
erfindungsreichen Arbeitszeit. Er hat nicht
einfach geerntet, was andere sich abgerungen,
er hat nicht mit rascher Anpassungsgabe
Formeln gebraucht, die Vorgänger der Zeit-
genossen mit ihrem Herzblut geschaffen haben.
Das Gemälde, „Im Vorwerk" betitelt, stammt
aus dem Jahre 1875 und weist die impressio-
nistische Kraft des Manet auf. Der Künstler
hat aber dann den Impressionismus über-
wunden und manches Problem durchgear-
beitet, bis er zu der virtuosen Zusammen-
fassung von Natur und Seele gelangte, die
seinem Hauptbild, der Schneelandschaft „Reb-
hühner" betitelt, einen so subtilen Reiz gibt.

Die feindifferenzierte, schwermütig aus-
klingende Schneeumhüllung, welche das Ge-
mälde mit leisem Hauch überzieht, gibt den
Grundton für die Raumstimmung des Saales.
Ganz in hellgrau getaucht sind die Wände,
an denen aneinander gereiht eine Anzahl
Bilder hängt, die beinahe alle Schwermut
verraten. Stille Melancholie oder Gruseln
von Geisterhauch, Resignation oder drama-
tisches Ringen, immer klingt es wie ein Seuf-
zer durch die dargestellten Natureffekte.

Wyspianski's Gestalten muten an wie
düstere Heldengesänge. Sie sind mehr Poeten-
ais Malerwerk. Dieser Künstler ist einer
der größten Dichter seines Landes. Das im
vergangenen Jahre aufgeführte Drama „Die
Heirat" errang einen mächtigen Erfolg. Der
heiße vaterländische Impuls, die dichterische
Vehemenz, mit der darin die Leidensge-
schichte Polens dramatisiert wird, löste tief-
gehende volkliche Vibrationen aus. Aus die-
sem Empfinden heraus hat der Künstler auch
die Gestalten der drei Polenkönige gemalt,
welche ihm den Vorwurf zu seinen großen
Glasfenstern geben. Die Gespenster des

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