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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 18.1902-1903

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Oettingen, Wolfgang von: Die fünfte Venezianer Kunstausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.12081#0543

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-^g> DIE FÜNFTE VENEZIANER KUNSTAUSSTELLUNG <&s-.~

zu begrüßen, der eine Besserung dieser Zu-
stände herbeiführen kann, und daher berichte
ich voll Befriedigung über die Ausstellung,
die während dieses Sommers in Venedig
stattfindet, zwar schon als die fünfte ihrer
Art, aber doch bemerkenswert nicht nur
durch neue Gedanken, die in ihrem dies-
jährigen Programm zum Ausdruck kommen,
sondern auch durch die fortdauernd strenge
Handhabung der Grundsätze, denen ihre Vor-
gängerinnen eine nicht zu unterschätzende
Bedeutung schuldig wurden.

In Italien, wo seit etwa anderthatb Jahr-
hunderten die Künste sich allzusehr mit der
Industrie und dem Handwerk eingelassen
haben, um bei dem Mangel an einheimischen
Mäcenaten das reisende Publikum zu be-
dienen, war eine heroische Rettungstat noch
notwendiger als anderswo. Man wagte sie,
1895, in Venedig, indem die Stadt selbst es

UMBERTO COROMALDI VOR DEM SPIEGEL

Kunstausstellung in Venedig

auf sich nahm, eine Secession von dem jahr-
marktartigen Getriebe anderer Ausstellungs-
unternehmen zu veranstalten und durch eine
nach rein künstlerischen Gesichtspunkten
organisierte Ausstellung den tüchtigen Künst-
lern, die sich bis dahin in der Masse ver-
lieren mußten, Gelegenheit zum Hervortreten
zu schaffen. In Antonio Fradeletto fand sich
der energische Mann, der, gestützt auf die
Machtvollkommenheit des Sindaco von Venedig,
des kunstsinnigen Grafen Filippo Grimani,
alle Hindernisse überwand und ein idealisti-
sches Programm ganz rücksichtslos durch-
führte.

Sein Erfolg ist bekannt: die erste Inter-
nationale Kunstausstellung an den Lagunen
erregte allenthalben die Aufmerksamkeit der
Kundigen. Es war gelungen, die süßlich
koketten, handfertigen Arbeiten der italie-
nischen Routine fernzuhalten, die fortpflan-
zungsfähigen Künstler zu versammeln und
auch manche gute Meister des Auslandes
zur Vergleichung, als Vorbilder und als
Zierde heranzuziehen. Im Bewußtsein, mit
ihrer Methode den richtigen Weg eingeschlagen
zu haben, beschlossen die Venezianer, ihre
Ausstellung nach denselben Grundsätzen alle
zwei Jahre zu wiederholen, und so sind sie
jetzt bei der fünften angelangt.

Allerdings haben sie damit die italienische
Kunst noch längst nicht umgewandelt und
überhaupt konnten sie sich wohl nicht ganz
auf der zuerst erreichten Höhe erhalten:
denn der durch politische und ökonomische
Verhältnisse herbeigeführte Niedergang der
Künste wird eben doch nur sehr allmählich
und bei günstiger Entwicklung der allgemeinen
Lage Italiens in einen Aufgang übergehen,
und andererseits hält die Produktion wirklich
bedeutender Kunstwerke auch mit einer zwei-
jährigen Periode der Ausstellungen nicht
gleichen Schritt. Aber es wäre ungerecht,
hier nur ein nachsichtiges „in magnis voluisse
sat est" zu sagen. Mag die diesjährige Aus-
stellung, wie die meisten Berichte bereits be-
zeugt haben, mehr den Eindruck einer guten
Durchschnittsleistung als den einer Offen-
barungneuer, überraschender Errungenschaften
machen, so muß gerade deshalb kräftig be-
tont und hervorgehoben werden, daß eben
dieser Charakter einer anerkennenswerten
Norm das beste Zeichen beginnender Gene-
sung und Befestigung ist. Sensationelles,
Raffiniertes, Empfindsames und Ueberempfind-
sames wird freilich von dem übersättigten
und des Reizes bedürftigen Publikum und
von der Presse, die sich natürlich lieber mit
Blüten als mit Blättern abgibt, lebhafter be-

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