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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1885

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Sepp, ...: Der Einfluß der Kunst auf die Religionsvorstellungen und die zehn Gebote Mosis: Vortrag, gehalten im Bayer. Kunstgewerbeverein zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7029#0052

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absah, und das alte Testament dem neuen gleich-
stellte, insbesondere den peiligendienst verwarf, nichts
gerechtfertigter, als mit jüdischem Eifer diese vermeinten
Götzen in den Winkel zu werfen und die Glasgemälde zu
zerstören, worin sich besonders die Puritaner in Schott-
land hervorthaten. Sofort ließen die Schweizer und
polländer ihrer Raserei alle Zügel schießen, bis die
Gotteshäuser so kahl und schaal aussahen, wie
eine Zudenschule. Talvin stellte das zweite Ge-
bot wieder her, und der peidelberger Katechis-
mus vonr Zahre \562 brachte die alttestamentliche Ein-
theilung zurück, ja den Reformirten in pelvetien, der
Schweiz und in Preußen gilt unser viertes Gebot wieder
für das fünfte, das neunte und zehnte für eines.

Seit der Keberwindung des Judaismus und dem
Siege platonischer Philosophie und hellenischer
Kunst und Wissenschaft in der Thristenheit,
unser ganzes Mittelalter hindurch waren die Kirchen mit
ihrer Bildersprache für das Volk, das noch nicht
lesen gelernt, das aufgeschlagene Buch, eine einzige Bilder-
bibel, woraus es Belehrung und religiöse Begeisterung
schöpfte. poraz sagt mit Recht: Naturam ejice furca,
tarnen usque redibit. Der Mensch läßt sich nicht mit
kaltein Verstands und leeren Abstraktionen befriedigen,
sondern lebt mit seiner Phantasie sich in eine ideale Welt
hinein. Die Bibel soll nicht wie der Koran das
einzige Belehrungsbuch fein, wir sind Lhristen,
und keine Zuden und Moslimen.

Doch selbst der muhammedanischen Welt kam das
Verlangen nach Bildern, wenigstens im Privatgebrauche.
So gelangte Leonardo da Vinci geraume Zeit an den
Hof des Mamluken-Sultans zu Kairo — sein Leben und
seine Werke verdienten von einem Manne wie Permann
Grimm so eingehend beschrieben zu werden, wie dessen
Michel Angelo. Bellini ließ sich von Mu h a mm ed ll.,
dem Eroberer, nach Stambul berufen. Bekannt ist die
Anekdote, wie er dort des Täufers Enthauptung malte,
aber der Großsultan, die Richtigkeit der Darstellung nicht
zugebend, vor seinen Augen einem Sklaven den Kopf ab-
schlagen ließ. Mehemet Ali ließ seine Reiterstatue in
Alexandria auf dem Platze el Muski aufstellen, das
Antlitz Europa, den Rücken Mekka zugewandt, um damit
auszudrücken, daß er dem Propheten und seinem Bilder-
verbote absage. Auch Sultan Abdul Aziz ließ insgeheim
sein Reiterbild von Fcller in Florenz zierlich modeln, und
hier in München, in der berühmtesten Erzgießerei der
Welt, als ehernes Denkmal ^872 zur Ausführung bringen.
Zndeß ist dasselbe seit seinem gewaltsamen Tode im Serail
verschwunden und die poffnung vereitelt, selbst der
Muhammedaner wolle sich durch bloße Arabesken und
reizende persische Schriftzeichen nicht länger befriedigen
lassen. Zn neuerer Zeit besitzt Konstantinopel sogar ein
Kunstmuseum unter Direktion des in Deutschland geborenen
Detroit, ja sogar ein Ausfuhrverbot von Kunstwerken
erschien nach einem Ferman der Pforte, zum Glück sind
noch die Kunstschätze von Pergamon zuvor nach der
deutschen Reichshauptstadt gerettet worden.

Wohl fühlte der Protestantismus nachgerade, was
er durch die Anfechtung der katholischen Kunst
für Empfänglichkeit am kirchlichen Leben ein-

gebüßt, und wir erleben eine heilsame Rückkehr. Dennoch
fehlt es nicht an Zornanwandlungen über den neu herein-
brechenden Papismus, wenn z. B. in die vor Oede und
Leere anfröstelnden und das Gemüth erkältenden pauls-
kirchs in London durch Fenstergemälde, zum Theil aus
der kgl. Glasmalerei-Anstalt von perrn F. 3c. Z eitler in
München, etwas Zierde und Wärme. gebracht wird, daß
der riesige Bau überhaupt für einen ganzen Menschen
genießbar erscheint. Bereits versuchte ein Frevler, das anr
Pochaltar aufgestellte Kruzifix im April s88^ umzureißen
und die Leuchter ein für allemal wegzuschaffen, piezu
stimmt genau ein Zahr früher der religiöse Zwiespalt
in der Synagoge, wenn in Peilbronn kraft des
Mofaismus Särge und Gräber mit Blumen und Kränzen
oder Anpflanzungen zu schmücken beanstandet ward. Welch
eine geistige Leerheit setzt es voraus, wenn bei der Kantönli-
Wirthschaft zu Liestal in Baselland der Simultankult soweit
getrieben wird, daß die allgemeine Gleichheit nicht einmal
der Freiheit mehr Raum gibt, am Grabe seiner Liebe ein
Kreuz oder auch nur einen Denkstein aufzupflanzen, so daß
die Gräber blos numerirt werden, wie die sibirischen
Sträflinge, und bei dem durchgeführten Kommunis-
mus kein Familiengrab mehr gestattet ist. Dagegen waren
die Grabstätten der Athener halbe Museen, wie die
erst neuerlich ausgegrabenen, hier in Gyps nachgeformten
Bildwerke zeigen, und wir thun auf unseren Kirchhöfen
für Kunstförderung das Möglichste. Der Munizipalrath
von Lyon hat erst s885 sich an perwegh's Ruf gekehrt
und befohlen: „Reißt die Kreuze aus der Erde!"

Mit demselben Rechte könnte man die Musik
verdammen und verbannen, auch sie ist eine Kunst,
die den Menschen veredelt, piemit wollen wir allerdings
nicht die Ausartungen im Gebiete der Kunst und
Religion rechtfertigen, und wenn am jüngsten Tharfreitag
die pariser einen Ball mit Saore eoeur-polka veranstalteten,
so geschah dies im gerechten Widerspruch gegen den Titel
einer Perz-Zesu-, Maria und Zoseph-Kirche am Mont-
martre. Derlei rohe Versinnlichung mit an der Brust heraus-
hängenden Perzen gereicht besonders den griechischen Thristen
zum Anstoß. Die Franzosen stellen freilich auch die Ma-
donna ohne Thristkind wie eine flotte Tänzerin auf den
Altar und berufen sich zur Rechtfertigung auf derartige
Erscheinungen in den Augen dieser oder jener Visio-
närrin.

Wir bringen unsere puldigung und den lebhaften Lob-
preis der christlichen Kunst, während eine Schrift wie die
des französischen Senators und Palästinapilgers de Saulcy,
l'art judaique, einen Widerspruch in sich enthält, wenn
indeß der in der klassischen Schule der pellenen erzogene
Künstler mit dem Dichter in dasselbe porn stößt, so schreibt
schon poraz zur Entschuldigung: piotoribus atque poetis
quidlibet audendi semper fuit aequa potestas. Der Ge-
schichtsfreund und Gottesgelehrte darf eben das Wesen
der Symbolik nicht mißverstehen, sonst übt die
Kunst einen zweideutigen Einfluß auf die
Religionsvorstellung. Wenn Iosua der Sonne
Stillstand gebietet, bis er den Feind völlig vernichtet,
so ist das ein hyperbolisches Dichterbild, das schon
pentaur, der egyptische ponter, beim Siegeszuge Ramfes II
Sofostris gegen Kades am Vrontes gebraucht, und 500
 
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