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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 1885

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Haushofer, Max: Ueber Drachen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7029#0006

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Fig. Ichthyosaurus im Kampfe mit Plesiosauriern.

Mer Ara

Von Or. Max Haushofer.

^ N den Göttersagen fast aller alten Kulturvölker
begegnet man der Vorstellung von furchtbaren
Ungeheuern mit Schlangenleib, Krokodils-
rachen, gewaltigen Fängen und meist auch mit
irgendwelchen Flügeln, also mit einem aus verschiedenen
Thiergeschlechtern entlehnten Körperbau, für welchen sich in
der gegenwärtig lebenden Schöpfung kein passendes Urbild
findet. Das sind die Drachen. Ihr Wesen ist im Allge-
meinen dem Ukenschen feindselig, oft ganzen Ländern ver-
derbenbringend, und die Bekämpfung und Besiegung der
Drachen gehört zu den Großthaten der Melden vorn ägypti-
schen ksar bis zum Ritter Georg und vom indischen Krischna
bis auf den gehörnten Siegfried der nordischen und deutschen
Sage.

Diese merkwürdig übereinstimmenden Vorstellungen und
der Glaube an die Existenz wirklicher Drachen blieb selbst
in Europa bis weit über das Mittelalter hinaus lebendig.
Es existirt ein Büchlein von dem gelehrten Or. Georg
Kaspar Kirchmaier, ordentlichem Professor der Eloquenz
an der wittembergischen Akademie, gedruckt im Jahre \75%
in welchem allen Ernstes und mit stattlicher Beweisführung
die Existenz der Drachen verfochten wird, heutzutage wsirde
ihn ein Schulknabe lächelnd bemitleiden. Die letzten Reste
des Glaubens spuckten in der chronisch hie und da aus-
tauchenden Seeschlange, von der es sich aber auch gezeigt
hat, daß sie eigentlich zum Geschlechts der Enteu gehört und
unser vaterländischer Tatzelwurm scheint ein Kind des Volks-
humors zu sein.

Der Begriff hat sich jedoch einmal in der Poesie und
bildenden Kunst eingebürgert und sonnt sich wie ein ächter

und gerechter Drache in ihrem Lichte; jeder Mensch macht
sich irgend ein Bild von seinem Wesen und Aussehen —
mitunter sogar ein sehr menschenähnliches und familiäres
und so kann man wohl Veranlassung nehmen, sich einmal
damit zu beschäftigen.

Zuerst mag sich wohl die Frage aufdrängen, woher
die Drachenidee in den Mythus fast aller Nationen ge-
kommen sei. Der Name selbst gibt uns darüber keine Auf-
klärung. Man leitet ihn von dem griechischen Worte Sepx«,
sehen, schauen, ab und bezieht ihn aus den stechenden Blick,
der den Drachen geradeso wie den Schlangen zugeschrieben
wird. Diese Ableitung wird unterstützt durch das griechische
Wort ocpig für Schlange, welches auf ein verloren gegan-
genes Verbum örrrco, sehen, zurückzuführen ist. Das Selt-
same im Blick der Schlange konnte sich dem Menschen so
aufdrängen, daß er sie darnach benannte. Darum besteht
auch zwischen Schlange und Drache eine allgemeine Fami-
lienähnlichkeit, die sich in den germanischen Sprachen durch
die Gemeinsamkeit des Namens für beide ausdrückt, sowie
durch das griechische eXt? für Schlange, ein Wort, welches
mit dem indischen Worte Ahi für Drache eines Stammes ist.

Die Benennung Drache ist sehr früh in der deutschen
Sprache eingebürgert worden. Schon die großen Kriegs-
schiffe der Wikinger hießen Drachen (dreki) — entweder
von der Gestalt des Fahrzeuges oder von dem üblichen
Gallionbild. Auch heute noch heißen die großen Dschunken
der Chinesen Drachen. — Im germanischen und nordischen
Mythus heißt der Drache sowie die Schlange anfangs
bloß „Wurm" (ormr); in der Edda findet sich an einer
einzigen, wahrscheinlich durch spätern Zusatz entstandenen

Zeitschrift des Aunstgewerbe-vereins München.

*885. Heft * & 2 (Bg. *).
 
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